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Lebens-Erinnerungen Lebens-Erinnerungen: Herr Becker erklärt die Welt

Von Andreas Montag 16.11.2003, 17:19
Boris Becker verzichtet in seiner Autobiografie auf Enthüllungen, trotzdem plauderte er nach Meinung seiner Ex-Frau Barbara (l.) zu viele Details aus. (Foto: dpa)
Boris Becker verzichtet in seiner Autobiografie auf Enthüllungen, trotzdem plauderte er nach Meinung seiner Ex-Frau Barbara (l.) zu viele Details aus. (Foto: dpa) dpa/dpaweb

Halle/MZ. - Nun also auch er: Nach dem medienflinken Dieter Bohlen und dessen "Ex" Naddel hat endlich Boris Becker sein Nähkästchen geöffnet. "Der Leimener", wie er im Deutsch der Sportreporter heißt, hat sich dazu der Mitarbeit von Robert Lübenoff und Helmut Sorge versichert. Lübenoff ist Beckers PR-Berater, Sorge war früher beim "Spiegel". Da kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen.

Natürlich darf man neugierig auf Beckers Rück- und Ausblicke sein, immerhin hat er auf dem Tennisplatz eine Leistung hinterlegt, vor der auch ein Strahlemann wie der "Pop-Titan" Bohlen sich in Demut üben sollte. Dieser Punkt geht an Becker, aber den Aufschlag als Autor bringt er deswegen nicht durch. Dabei werden die ganz großen Gewichte gestemmt, mit einem Zitat aus Goethes "Faust" beginnt Beckers Prolog, in der Widmung (für Opa Franz und Vater Karl-Heinz) wagnert Pathos: "Es ist nun an mir als Ältestem, die Becker-Familie zu führen und zu schützen".

Haben Sie's nicht eine Nummer kleiner, möchte man Becker fragen. Nein, der meint das ganz ernst. Es wird geklotzt in diesem Buch, das wie sein Autor weitgehend humorfrei ist. Und sich deshalb manchmal ungewollt selbstironisch liest. Gleich im Vorwort erklärt Becker die Welt - und die Wahlverwandtschaften: Marlene Dietrich, James Dean, sogar die Monroe. Das ist die Liga, in der er sich sieht. Und manchmal klingen seine Bekenntnisse wie das Pfeifen im Walde. "Jetzt heißt das Turnier Leben", notiert der Mittdreißiger über das, was nun kommen soll. Noch fühlt er sich wie damals beim Marsch auf Wimbledon, wo er 1985 als 17-Jähriger den Pott gewann.

Nun ist es das Geschäftsleben, in dem er an der Seite des Supermanagers Hans-Dieter Cleven (Metro) durchstarten will: "Großes fängt immer klein an. Für Dieter und micht gibt es keine Limits." Das muss man erst mal schreiben, und dann gleich im Dutzend! So hält Becker über sein Erschrecken angesichts der Obdachlosen in New York fest, die "Alptraumseite des amerikanischen Traums" habe ihn motiviert: "So will ich nicht enden, also muss ich härter ran auf dem Platz. Ich nehme mir den Skalp des Gegners. Seine Mutter soll heute Abend wegen der Niederlage weinen, nicht meine. So funktioniert diese Gesellschaft - auch wenn man es zum Kotzen findet."

Beckers kleiner Katechismus ist rührend übersichtlich. Sentimentalität, wo er sie trifft, bügelt er flott weg - es sei denn, er berichtet von Berühmtheiten neben sich: Nelson Mandela, Muhammad Ali. Da verdrückt er schon mal eine Träne.

Und worum geht es sonst? Um den Erwartungsdruck auf "das Bobbele" zum Beispiel, der gewaltig gewesen sein muss. Um Liebe und Sex (Frau Becker und Frau Ermakova, die Kinder von ihm haben), um Geld ("Ich ahnte ja nicht, wie wichtig die Millionen eines Tages sein würden, um mir meine Freiheit zu sichern"), um die berühmte Brühlerin ("Wir alle wissen: Erfolg macht sexy, von Steffi Grafs Beinen ganz zu schweigen") und um Promi-Freunde wie Prinz Albert von Monaco ("Der war schon sehr früh einfach ,Albert‘ für mich. Ich habe mit ihm mal ein paar Bälle geschlagen, zufällig nach dem Training").

Natürlich bekommen auch die Medien ihr Fett weg, das gehört zum Standard. Am Ende hagelt es Selbstkritik ("Schluss mit dem Selbstbetrug, Schluss mit der Heuchelei"). Alles ziemlich dicke, wie gesagt. Oder doch fast. Die Porträts seiner Kollegen Agassi, McEnroe oder Stich sind recht gelungen. Und wer etwas über den Tennis-Manager Ion Tiriac erfahren will, wird auch nicht enttäuscht.

Nur über Herrn Becker gibt es wenig Neues. Bis auf die Nachricht, dass die Schläge der letzten Zeit seinen "Killerinstinkt" wieder geweckt hätten. Aber umbringen will er keinen, schreibt er. Da haben wir ja noch mal Glück gehabt.

Boris Becker: "Augenblick, verweile doch...", C. Bertelsmann, München 2003, 316 Seiten, 21,90 Euro