Landeskunstmuseum Landeskunstmuseum: Stadt, Land, Pfusch bei der Stiftung Moritzburg
Halle (Saale)/MZ. - Im Dezember 2008 hing der Himmel noch voller Geigen. Der Nachthimmel über dem Neubau des Kunstmuseums Moritzburg in Halle, dem ehrgeizigsten Kulturbau des Landes Sachsen-Anhalt. "Es ist ein Projekt, das nur Gewinner kennt", sagte Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz.
Der Bau sah - und sieht ja auch schön aus. Wie das Deck eines Schiffes schwebt das Aluminiumdach über dem dunklen uralten Gemäuer. Und unabhängig von allem, was kam: Der Entschluss zu einem Neubau war eine Tat. Und ein uralter Traum, den bereits Max Sauerlandt hegte, der erste wahre Direktor des Moritzburg-Museums.
Was machte es also, dass unter dem neuen Dach die Brandmauer zu niedrig war, dass Fluchtwege fehlten, Treppen und Türen? Dass das Renaissance-Portal am Westflügel verschlossen war an diesem festlichen Abend. Eine blinde Fläche. Aber die "Brücke"-Sammlung des Würzburger Unternehmers Hermann Gerlinger hätte es ohne Neubau nicht gegeben - und den nicht ohne die Sammlung. Alles erschien neu hier: Auch die in solcher Fülle noch nicht gezeigten Bilder des 19. Jahrhunderts. Allein die mit Halle verbundene große kunsthandwerkliche Sammlung blieb unsichtbar. Man wollte aufsteigen. Eine neue Liga.
Man holte den Bundespräsidenten, der an Fackeln vorbei in das Haus geführt wurde. In einen Bau, der zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht fertig war. Und der das bis heute nicht ist. Im nachhinein: Eigentlich tappte Horst Köhler im Dunklen. Mit ihm die Öffentlichkeit, vor der die wahren Zustände verborgen werden sollten.
Kaum hatte Jan-Hendrik Olbertz, der Gewinner, ein Jahr vor der Landtagswahl 2011 den Ministerstuhl für den Präsidenten-Posten der Humboldt-Universität in Berlin geräumt, wurden erste Blicke hinter die Kulissen möglich: Fehlplanungen, Miss-Management, schwere Fälle von Pfusch am Bau. Vor allem aber und bis heute: ein schwerer Fall von öffentlichem Kontrollverlust.
Öffentlichkeit wurde als lästig begriffen. Nachfragen. Recherchen. Alles lästig. Sogar die Namen der Stiftungsratsmitglieder wurden noch 2010 wie eine Verschlusssache behandelt. Birgitta Wolff, die Olbertz-Nachfolgerin, machte immerhin mit dieser absurdesten Spitze der Geheimniskrämerei Schluss. Aber gekramt wurde weiter. Dieser Tage wurde in der MZ der Prüfberichts-Entwurf des Landesrechnungshofes öffentlich.
Ein Protokoll des organisierten Versagens. Bis heute ist ausgerechnet die Depot-Situation provisorisch und ungeklärt. Durch billige Nassbohrarbeiten wurde gegen guten Rat die mittelalterliche Crodel-Halle sozusagen geflutet. Sehenden Auges verstieß man gegen Denkmalschutz-Regeln. Offenbar folgenlos. Seite für Seite staunt man: Wie ist so etwas in solcher Häufung möglich?
"Die Zusammenhänge sind sehr komplex", teilte dieser Tage die Stiftungsdirektorin Katja Schneider mit. Vielleicht sind sie auch das: erschreckend einfach.
Für die Kunsthistorikerin Katja Schneider, die seit 2003 Vorstand der Stiftung ist, sind das keine leichten Tage. Es gab ja auch bessere. 1992 kam die gebürtige Hamburgerin nach Halle, das sie gut kannte. Zum Thema "Die Burg Giebichenstein und das Kunstgewerbe in den 20er Jahren" wurde sie 1988 in Bonn promoviert. In zwei repräsentativen Bänden, die ein Standardwerk sind, wurde die Arbeit veröffentlicht. Die empfahl sie denn auch für den in der MZ ausgeschriebenen Posten eines Stellvertreters des Moritzburg-Direktors Peter Romanus, der sich dringend Hilfe wünschte. 1999 starb der Direktor im Alter von erst 59 Jahren. Paul Raabe, damals Direktor der Franckeschen Stiftungen, sagte bei der Trauerfeier: "Romanus war ein einsamer Mensch, der ganz seiner Aufgabe diente." Die freie Stelle wurde bundesweit ausgeschrieben, nennenswerte Bewerbungen von außen gab es nicht, mutmaßlich weil die Besoldung nicht attraktiv genug war.
Man entschied sich für die hausinterne, sozusagen hanseatische Lösung. Katja Schneider wurde die Direktorin - und es ließ sich nach außen hin auch recht gut an. In der MZ war 1999 zu lesen: Sie kenne "die Defizite des Museums nicht nur genauestens", sondern verstehe es auch, diese "in der Öffentlichkeit unerschrocken anzusprechen". Ausstellungen, die Katja Schneider selbst besorgte, gestaltete sie gut und genau, sagen Menschen, die mit ihr gearbeitet haben. Sie sagen aber auch, dass sie die geborene Leiterin nicht ist. Und von Stufe zu Stufe wuchs der heute 59-Jährigen formal und sachlich mehr Verantwortung zu, von der sie schließlich überfordert war. Tatsächlich war Katja Schneider auch starken Zwängen ausgeliefert. Jan-Hendrik Olbertz ist zwar nach außen hin ein Charmeur, nach innen aber, sagen Menschen, die es wissen, ein knallharter Stratege. Bauen! Koste, es was es wolle.
"Wenn kein Zeitdruck mehr besteht, ist es immer leicht, Schuldige zu suchen", teilte Katja Schneider an diesem Dienstag mit. In der Tat. Denn als ein klassisches Bauernopfer wurde 2011 der Verwaltungsleiter der Moritzburg gekündigt, der 2007 in eine bereits heillose Situation gerufen wurde. Der schwerbehinderte Vater von zwei Kindern wehrte sich, zog vor Gericht. Erfolgreich. Bei der ersten Verhandlung am Arbeitsgericht war Katja Schneider nicht erschienen; das sei nicht "angeordnet" gewesen. Bei der zweiten Verhandlung zeigte die Direktorin, dass sie entscheidende Verwaltungsregeln nicht kannte. Dass sie dem Kläger Zuständigkeiten unterstellte, die dieser gar nicht hatte. Das Gericht musste da nachhelfen. Dann war wieder Stille im Land.
Und auch im Museum, mittlerweile. Diese Galerie macht ein sympathisches, ja liebevolles, aber nicht zwingendes Programm. Sondern eines, das auch andernorts gezeigt werden könnte. In diesem Jahr gab es eine Baselitz-Ausstellung in Potsdam, es gab eine in Oldenburg und Bad Homburg - und eben auch eine in Halle. Die Anhalt-Ausstellung war fein, aber wiederum zu klein, um das zu entfalten, was sie tatsächlich zu bieten hatte. Es fehlt an Leben in den Begleitprogrammen. An Ausrufezeichen, die man wahrnimmt, sich merkt. Man würde auch gern einmal in der Westhalle eine "Brücke"-ferne Schau sehen. Und wenn man denn die Gerlinger-Bilder immer neu sortieren muss, wären überraschende Varianten sinnvoll. Es fehlt ein Moritzburg-Sog. Das wird Ursachen haben, die nicht allein die Direktorin verantwortet.
Denn unbestritten ist auch: Katja Schneider hat Verdienste um dieses Haus. Schon im Jahr 2000, zeigt der Bericht, wies sie entschieden auf die mangelhafte Depotsituation hin, drängte auf Besetzung freier Stellen. Aber irgendwann blieb dieser Aufbruch stecken. Die Direktorin mauerte sich ein. In eine inzwischen routinierte Abwehr, verputzt mit Verlautbarungen.
"Gerade jetzt", teilte Katja Schneider dieser Tage mit, "werde und will ich dazu beitragen, die Zusammenhänge aufzuklären und richtigzustellen". Aber das sagte sie schon vor zwei Jahren: "Ich werde jetzt die Probleme der Moritzburg lösen." Das musste sie auch sagen, denn ihr bis Ende 2013 laufender Vertrag war im Frühjahr 2010 mit der Auflage verlängert worden, innerhalb von zwei Jahren den Haushalt zu regeln. Aufklären, richtigstellen, gerade jetzt. Die MZ hatte von Montag vergangener Woche an einmal um ein Gespräch, zwei Mal um ein Interview mit Blick auf eine Veröffentlichung der Prüfergebnisse gebeten. Umsonst.
Wie geht es weiter? Das Kultusministerium hatte am Montag mitgeteilt, dass Katja Schneider auf der Stiftungsratssitzung am 28. September ihren "Rücktritt in Aussicht" gestellt hätte. Bei MDR Figaro sagte sie am Tag darauf, dass sie "zum jetzigen Zeitpunkt" einen Rücktritt ausschließe; aber vom "jetzigen Zeitpunkt" war nie die Rede. Es ging und geht um das Künftige. Im November wird der Stiftungsrat tagen.