Kurt-Weill-Fest Kurt-Weill-Fest: Lieder von vagem Hoffen und schrecklicher Gewissheit
Dessau/MZ. - Wenn die Kunst unmittelbar vom und zum Leben sprechen will, kann dies leicht zur Reportage oder zur Agitation verflachen. Wenn aber ein Konzert von einem vorangegangenen Podiumsgespräch so beglaubigt wird, wie es Ute Gfrerers Programm "Lebenswege" beim Dessauer Kurt-Weill-Fest geschah, dann berühren die Lieder ihre Hörer auf besondere Weise. Parallel zum Bauhaus-Auftritt der Artist in Residence nämlich musizierte in der Marienkirche die 87-jährige Swing-Legende Coco Schumann. Und der hatte zuvor von seinen Erfahrungen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern und vom knappen Überleben des Holocaust erzählt.
So spannte sich danach ein Bogen über die Festivalstadt - von der "verbotenen" Musik des Swing zu den Songs und Chansons aus dem Exil. Denn die "Voyages à Paris", von denen Ute Gfrerer bei ihrem vorletzten Festival-Auftritt erzählte, waren nicht immer freiwillig: Nachdem sie mit Francis Poulenc und Cole Porter, Jerome David Kern und David Frishberg zunächst die Klischees von der "Stadt der Liebe" zitiert und karikiert hatte, wandte sich die Diseuse mit ihrem Begleiter Christian Koch schnell dem Leben und Werk von Exilanten zu.
Hier waren es vor allem die Lieder von Norbert Glanzberg und Hermann Leopoldi, die Atem und Applaus immer wieder stocken ließen. Der 1910 in Lemberg geborene Glanzberg verdankte seine Rettung während der deutschen Besatzung französischen Freunden wie Edith Piaf, lange nach dem Krieg vertonte er Texte von Opfern des Holocaust und von hingerichteten Widerstandskämpfern in einem erschütternden Zyklus. Nachdem Ute Gfrerer mit strahlender Heiterkeit in den Abend gestartet war, stellte sie sich nun ganz in den Dienst dieser Nekrologe: Da kommt "Ein kleiner Koffer erzählt" mit vergifteter Naivität daher, da wird in "Versprich mir eins" die schreckliche Gewissheit der Todeszelle in ein romantisches Kunstlied gekleidet und da schildert "Transport" direkt die Angst vor dem Ungewissen.
Dazwischen und daneben setzt die Solistin nicht nur Weill-Lieder wie "Des Soldaten Weib", sondern auch den "Buchenwälder Marsch", dessen Autor Leopoldi eigentlich eher durch Wiener Schmäh denn durch existenziellen Ernst glänzte. Aber eben dies ist ja die Erkenntnis dieses Abends: Es waren heitere und blitzgescheite Menschen, die hier vertrieben und vernichtet wurden - Stars des Unterhaltungsbetriebs wie Joseph Beer, die auch nach dem Ende des Schreckens nie wieder zu ihrem einstigen Temperament und Talent zurückfanden.
Ute Gfrerer erzählt und singt mit einer Leidenschaft, die sich dieser Schicksale bewusst ist, ohne sich in wohlfeiles Mitleid zu steigern. So gibt sie jedem Stück seine Würde - und so kann sie am Ende auch wieder jenen Optimismus stiften, mit dem sie den Abend begonnen hat. Die Zugaben, in denen das Publikum einen augenzwinkernden Einblick in nachträgliche Korrekturen von Rundfunkaufnahmen erhält, sind die vorfristige Krönung von Ute Gfrerers Dessauer zweiwöchiger Residenzzeit. So gelöst und frei, so schön und souverän war selten ein Künstler beim Weill-Fest zu erleben.