Kurt Tucholsky Kurt Tucholsky: Es war wie Glas zwischen uns
HALLE/MZ. - Am Ende kann sie nicht mehr. Will nicht mehr abgeschoben, nicht mehr belogen werden. Vier Jahre war die Sekretärin Mary Gerold mit dem linksliberalen Starfeuilletonisten Kurt Tucholsky verheiratet, als sie gegen Ende des Jahres 1928 die Verbindung löst. Zu viele fremde Frauen mischen mit, zu viele Fragezeichen. "Immer wieder", schreibt die 30-Jährige an den acht Jahre älteren Mann, entferne sich dieser von ihr "und immer wieder blutet es von Neuem." Mary Gerold zieht die Notbremse: "Es war zu groß und zu schön als es anfing, um es hässlich enden zu lassen."
Selbstverständlich endet alles traurig. Aber nicht hässlich, was es leicht hätte werden können: Tucholsky lebte stets mit mindestens zwei Frauen gleichzeitig, die nicht immer voneinander wussten. Mary Gerold ahnte das. 1933 wird die Ehe geschieden. Bis zuletzt aber bleibt die innere Beziehung zu Kurt Tucholsky bestehen, der in Mary Gerold die Frau seines Lebens gefunden, aber nicht erkannt hatte. Ihren Abschiedsbrief von 1928 trägt der seit 1929 in Schweden lebende Schriftsteller immer bei sich. Man findet das Papier, nach all den Jahren stark beschädigt, 1935 in der Brieftasche des Toten.
Tucholsky, 1890 in Berlin geboren, legendär als politischer Journalist, ist ein Zeitschriftsteller, der immer noch interessiert. Einer, bei dem auch das Private von Belang ist. Und zu diesem Privaten gehört Mary Gerold, die am Ende Tucholskys Alleinerbin wurde. Eine Unbekannte blieb Mary Gerold trotzdem, die 1986 in Bayern starb. Alle Hilfe gewährte sie der Tucholsky-Forschung. Aber in eigener Sache: keine Interviews, keine Filmaufnahmen, bloß nichts Privates!
Insofern ist es ein Verdienst, dass der Publizist Klaus Bellin die Geschichte von Mary und Kurt Tucholsky erzählt. Aber es ist noch mehr als das. Was der in Berlin lebende Autor unter dem Gerold-Titel "Es war wie Glas zwischen uns" vorlegt, ist ein souveränes, schönes und stilistisch schnörkelloses Werk. Immer hält der Autor eine vornehme Distanz, was nicht einfach ist bei diesem Thema. Manches findet man in der Tucholsky-Biografie von Michael Hepp etwas geraffter, dem bislang Einzigen, der die Gerold-Tagebücher einsehen durfte. Aber Bellin gelingt ein literarisch überzeugender Essay über zwei Menschen, die nicht miteinander leben können, aber auch nicht ohne einander. Ein Buch mit einem klaren erzählerischen Ton, das beginnt: "Er, Kurt Tucholsky, hatte viele Frauen. Für sie, Mary Gerold, gab es nur einen Mann: ihn." Mary Gerold, Tochter eines deutschbaltischen Buchhalters, lernt als "Hilfsdienstwillige" des deutschen Heeres 1917 den in Riga stationierten Unteroffizier Tucholsky kennen. Sofort beginnt der Berliner zu flirten, zu schmeicheln, brieflich zu umgarnen. Er ist seit seinem "Rheinsberg"-Büchlein von 1912 eine Berühmtheit, sie die kühle Blonde aus der Provinz. Mary wehrt und verliebt sich, sagt Ja zu der Verbindung, die Tucholsky nicht wirklich will. Das sagt er aber so nicht. Als Mary 1920 nach zahlreichen Schwüren und Entbehrungen in Berlin eintrifft, holt er sie nicht einmal am Bahnhof ab. In der gemeinsamen Wohnung schreibt er ihr in den ersten Tagen Karten.
Tucholsky, wie Bellin ihn sieht: Immer läge das Glück für den Schriftsteller "in der Ferne, in einem Zustand, der noch nicht Realität geworden ist". Kurzum: "So lange noch ein bisschen Abstand herrscht, ist seine Welt in Ordnung. Vor der Nähe schreckt er zurück." Mary 1923: "Es gibt Tage, an denen ich ganz froh bin, an denen ich mich Ihm ganz nah fühle. Und dann wieder gehen wir neben einander, ich fühle seine Hand, und ich bekomme einen Schreck und ich frage mich, wer ist er?"
Ein Mann mit ausgeprägt kindlichen Zügen. Das hat Gründe. Bis zum Schluss hasst Tucholsky seine Mutter, die 1943 im KZ Theresienstadt stirbt. Eine Haustyrannin, eine Frau, die der Schrecken der
Familie war. Eine, die "einen Mann zu Tode quält". Mary, schreibt Bellin, habe nie daran gezweifelt, dass dieses soziale Trauma Tucholskys emotionale Labilität erklärt. Nie kann er allein sein. Stets braucht er Zuspruch, Wärme, Zärtlichkeit - zu seinen Bedingungen. Tucholsky zu Mary Gerold: "Ich komme zu dir nicht nur wie zu einer Freundin, sondern auch wie zu einer Mutter". Das konnte nicht gut gehen.
Tucholsky, der Mann, den die klugen Frauen lieben, all seiner Gespaltenheit und Nervosität zum Trotz. Für Männer ist das schwer nachvollziehbar. Der Kollege Hans Erich Blaich über Tucholsky: "ein untersetzter, beleibter Herr, nicht unsympathisch, aber nicht sehr fest in sich, Journalistennatur, kein Ja- und Nein-Sager". Im Privaten immer: entschiedenes Jein.
"Wenn Liebe das ist, was einen ganz und gar umkehrt, was jede Faser verrückt, so kann man das hier und da empfinden", begreift Kurt Tucholsky am Ende. "Wenn aber zur echten Liebe dazukommen muß, daß sie währt, daß sie immer wieder kommt", dann hat er "nur ein Mal in seinem Leben geliebt. Ihn." Tucholsky meint: Mary. Und über sich: "Hat einen Goldklumpen in der Hand gehabt und sich nach Rechenpfennigen gebückt."
Ein außerordentlicher Mensch, eben auch in seinen Mängeln. Vor allem aber außerordentlich als Autor. Man schafft so ein kluges und engagiertes Werk nicht leichthin. 1982 gibt Mary Gerold ihren Briefwechsel mit Kurt Tucholsky heraus. Unter dem Titel "Unser ungelebtes Leben". Das Buch lässt sie sich mit ins Grab legen.
Klaus Bellin: Es war wie Glas zwischen uns. Die Geschichte von Mary und Kurt Tucholsky. Verlag für Berlin-Brandenburg, 168 Seiten, 19,90 Euro.