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Kunstwerke der Documenta Kunstwerke der Documenta: Orte für Skater und Fantasten

Von Günter Kowa 11.08.2002, 16:17

Kassel/MZ. - Postkoloniale Traumata, globalisiertePsychosen, Gesellschaftskritik - dies sinddie Etiketten, die zum Beweis von Documenta-Tauglichkeitanno 2002 hergezeigt werden. Bei der Architekturist da mehr Spielraum. Oder sind die Bezügeeinfach nur subtiler zu deuten? Erweitertdie Architektur gar den Kontext? Diese Fragenzu stellen hilft auch für diejenige Architektur-Arbeit,die auf den ersten Blick reibungslos in dieDocumenta-Grundströmung passt.

Carlos Garaicoa, zeit seines Lebens ein BürgerHavannas, zeigt in der "Binding Brauerei"seine Fotos und Computer-"Rekonstruktionen"unfertig gebliebener sozialistischer Bauprojekteinmitten der allgegenwärtig verfallenden KolonialarchitekturKubas. Er stilisiert mit seinem hypothetischenWeiterbau manches vergessene Betongerippezu geradezu antikisierenden Visionen einerUrform demokratischer Lebensart ("ApartmentHaus wie griechische Agora"). Er findet aufdiesem Umweg außerdem auch zu seiner eigenenUtopie eines ganz dem Geist gewidmeten Campus.

Ebenso entrückt und utopisch im Inhalt, medialaber ganz auf Effekt präsentiert, erscheintin einer anderen Koje des Brauerei-Gebäudesdie Installation des Büros "Asymptote" ausNew York. Ein nicht definierbares, computergeschaffenesGebilde rotiert hoch über den Köpfen und setztsich an Spiegelwänden endlos fort. Ein Wolkenkratzer-Rundflugin verzerrter Form? Aber das Verwirrspielverweist in erster Linie nur auf sich selbst.

Wo Asymptote die körperliche Ortsbestimmungganz in der virtuellen Irrealität verschwindenlassen, gehen Steve Badgett und Mathew Lynchvon "Simparch" den umgekehrten Weg. Sie gebendem "Nutzer" ein archaisches Raumerlebniszurück. Ihre hölzerne Skaterbahn ist wie eineSkulptur in Negativform in einen Nebengebäudeder Brauerei eingelassen - freie Plastik vonunten und zweckbestimmter Hohlraum von oben.Eine surrealistisch-rätselhafte Ebene betrittman bei dem Holländer Mark Manders und seinem"Selbstporträt als Gebäude". Schon im Titelverdeutlicht diese Konstruktion aus assoziativenVersatzstücken und zellenartigen Umwandungen,dass Architektur bei Manders ein rein subjektiverGegenstand ist, der außerhalb baulicher Bezügeliegt. Das ist bei den Arbeiten anders, mitder Künstler im "Kulturbahnhof", einem schonzur letzten Documenta umgebauten Seitenflügeldes Kasseler Hauptbahnhofs, mit Vision undUtopie umgehen.

Ein Klassiker von Museumsrang gibt dortden Ausgangspunkt. Der Wiederbegegnung mitdem "New Babylon" von Constant (Constant A.Nieuwenhuys) aus den 50er Jahren kommt inder Gattung architektonische Fantasten beider Documenta eine Rolle zu wie Gerd und HillaBecher unter den gleichfalls gut vertretenenArchitekturfotografen. Bekannte Positionenneu zu befragen, ist eine der Grundströmungender Kasseler Kunstschau.

Constants wuchernde Systeme von Ballungszentrenund Verkehrswegen sind aus realen Lebensphänomenenentwickelte Poesie. Das Modell "New ManhattenCity" von Bodys Isek Kingelez sucht die Poesiein der Begeisterung für das Bunte, Verspielte,Naive - nahe am Kitsch. Die deutsche KonzeptkünstlerinIsa Genzken dreht denselben Impuls ins andereExtrem, wenn sie mit ihren "Neuen Gebäudenfür Berlin" aus farbigem Drahtglas die Moderneauf eine einfache Metapher zusammenschnurrenlässt.