1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Kunstmuseum Moritzburg: Kunstmuseum Moritzburg: Rückkehr der Moderne

Kunstmuseum Moritzburg Kunstmuseum Moritzburg: Rückkehr der Moderne

Von Christian Eger 08.09.2017, 08:00
„Wege der Moderne“ heißt die neue Dauerausstellung im Westflügel der Moritzburg. Ende Februar 2018 öffnet der zweite Teil im Nordtrakt.
„Wege der Moderne“ heißt die neue Dauerausstellung im Westflügel der Moritzburg. Ende Februar 2018 öffnet der zweite Teil im Nordtrakt. dpa

Halle (Saale) - Mit dem überraschenden Abzug der „Brücke“-Sammlung Gerlinger im Januar dieses Jahres stand der Westflügel der Moritzburg leer. Und buchstäblich die Frage im Raum, ob die Sammlung des Kunstmuseums kraftvoll genug sei, die Fläche mit qualitätvollen Werken der Jahre von 1900 bis 1945 zu bestücken.

Von diesem Sonnabend ist zu sehen: Ja, sie ist es. Und das auf eine anregende, feinsinnige und überraschende Weise, die neben der Kunst- und Zeitgeschichte immer auch die Geschichte der eigenen Sammlung, des eigenen Hauses im Blick behält: das Kunstmuseum als gewachsenes „Kunstwerk“, als das es sein erster Direktor Max Sauerlandt (1880-1934) verstehen wollte, um Kunst und Kunsthandwerk zueinander zu führen. 75 Gemälde, 33 Plastiken, 70 kunstgewerbliche Objekte sind an sandfarbenen Wänden und in hohen Glasvitrinen zu sehen, die sich über den Betonboden der 1 100 Quadratmeter großen Halle verteilen. In drei Abschnitten: 1900 bis 1918, 1919 bis 1933 und 1933 bis 1945.

Heckel von vorn und hinten

Den Raum zu füllen, ohne gegen seine Größe zu verlieren, das war eine der vielen Herausforderungen, die das Team um Direktor Thomas Bauer-Friedrich gemeistert hat. Bei der Presse-Präsentation der Schau fehlten noch die Sitzbänke, die den teilweise weiten Flächen zwischen den Wänden etwas von ihrer Nacktheit nehmen werden. Aber die Anordnung der Wände ermöglicht kleine, fast intime Schauräume für die Einzelnen genauso wie breite Schneisen für gruppentaugliche Aufenthalte. Dass das Kunsthandwerk in dezent präsentierten Einheiten gezeigt wird, ist ein Glücksgriff, der den Gründergeist des Hauses wirken lässt.

Die Moritzburg-Ikonen der Moderne sind selbstverständlich da: die Gemälde von Beckmann, Feininger, Heckel, Hofer, Kirchner, Klimt, Nolde, Marc, Mueller, Munch, Schmidt-Rottluff und Völker. Das 1925 von Sauerlandt erworbene Munch-Werk „Porträt Dr. Linde“ eröffnet die Schau; das 1937 entfernte „Abendmahl“ von Nolde ist als Schwarz-Weiß-Reproduktion zu sehen. Neu Erworbenes von Jawlensky etwa und Barlach, selten Gezeigtes von Dix, Felixmüller und Pechstein wird präsentiert. Erstmals ist das berühmte Heckel-Gemälde „Barbierstube“ (1912) auch mit seiner Rückseite zu sehen, die wiederum ein vollwertiges Gemälde ist: der „Holzausroder“, 1913. Das Bild zeigt einen Mann im Holz, auf einer Lichtung, um die herum die Baumstämme niedergehen.

NS-Kunst aus der eigenen Sammlung

Neu ist das auch nachvollziehbare Einsortieren der drei großen Halle-Gemälde von Feininger in die Dauerausstellung; die „Feininger-Empore“ an der Südwand ist aufgelöst, das große Fenster dient als „Fenster zur Stadt“. Zwischen den Stellwänden, wie Verkehrslenker, stehen die Plastiken: Arbeiten von Marcks und Kolbe, Barlach und Glöckner.

Aber auch, und das ist neu, von Bildhauern, die im NS-System gefeiert wurden: Fritz Klimsch, dessen bronzener Frauenakt „In Wind und Sonne“ (1936) auch im Garten des Propaganda-Ministeriums stand, und der Kolbe-Freund Richard Scheibe. Einen Abguss der hier gezeigten Bronzefigur „Der Denker“ (1937) hatte Hitler 1938 erworben. Scheibe schaffte es später auf die „Gottbegnadeten“-Liste des NS-Systems. Was nichts daran änderte, dass er 1953 das Ehrenmal im Berliner Bendlerblock für die Toten des 20. Juli 1944 fertigte. Eine Skulptur, die dem „Denker“ nicht unähnlich ist. Die hallesche Schau heißt „Wege der Moderne“ - und die sind voll von Winkelzügen.

Mehr als 150 Gemälde von einem Lieblingsmaler Hitlers

Sich erstmals der Sammlungsgeschichte nach 1933 zu öffnen, ist ein Verdienst. Bei der Fokussierung auf die von den Nazis entfernten  - im Zahlenvergleich zu anderen Häusern wenigen, aber wichtigen - Bilder geriet aus dem Blick, dass in den NS-Jahren auch Kunst erworben wurde. Altmeisterliche, vom Sozialen befreite Neue Sachlichkeit, wie nun zu sehen ist. Eine schlichte, aber erfolgreiche Propagandamalerei wie Paduas „Der Trommler“ (1944) kam nicht als Ankauf in die Moritzburg; sie gehörte der Gauleitung Halle-Merseburg.

Ein Sonderfall ist der von Hitler und seinem Stellvertreter Hess. persönlich protegierte norddeutsche Marine-, Landschafts- und Stimmungsmaler Karl Leipold (1864-1943), von dem die Moritzburg 1944 insgesamt 249! Gemälde erwarb, um ein Leipold-Museum in Halle einzurichten; die Urne des Malers wurde in einer Nische des Burggemäuers aufbewahrt. Heute befinden sich noch 158 Leipold-Werke im Moritzburg-Depot. Ein Bild ist zu sehen: „Genesis“, vor 1933 entstanden. Ein mattes, symbolistisch überhöhtes Farbspiel mit Licht und Wasser, das Musik sichtbar machen will.

Dass die „Wege der Moderne“ für den Besucher mit den Jahren 1933 bis 1945, also rückwärts beginnen, ist dem Umstand geschuldet, dass hier ein Mittelstück der künftigen Dauerausstellung gezeigt wird, die noch nicht da ist. Man wird dann vom Talamt aus in den Westflügel treten, um vom Jahr 1900 aus in die Gegenwart im Nordflügel zu gelangen, von dem man aus heute die „Wege der Moderne“ betritt.

Im Februar geht es mit der Kunst nach 1945 weiter

Zwei, drei Kunstgut-Vitrinen könnten noch aufgestellt werden, um der Halle mehr inneres Volumen zu geben. Vielleicht auch Fotografien: Warum fehlen die eigentlich? Skizzen oder Dokumente als Beigaben wie sie auf der Feininger-Empore zu finden waren. Der Halle-Aspekt (Völker, Marcks) könnte mit Zutaten geschärft werden. Aber die Linie ist da, das Verfahren: Erlesenes mit lesbaren Kommentaren zeigen.

Im November soll ein Buch zur neuen Schau erscheinen. Ende Februar im Nordflügel der Anschluss an die Kunst nach 1945 geboten werden. Einmal mehr ein hochinteressantes Kapitel, das entschieden zur Positionierung der Moritzburg beitragen wird. Bis dahin kann die neue Schau gesehen und in ihren Texten gelesen werden. Mit ihr das uralte Mauerwerk des Westflügels. Auch in dem Tageslicht, das jetzt durch die Fenster der Westwand fällt, die für die neue Präsentation geöffnet worden sind. (mz)

Die neue Schau

Die Eröffnung der Schau findet am Sonnabend um 17 Uhr statt. Öffnungszeiten: Mo–Di, Do–So 10 bis 18 Uhr, Mittwoch geschlossen. Feiertage geöffnet außer 24. und 31.12. Der Besuch der Dauerausstellung kostet ab Sonnabend 7 Euro (ermäßigt 5), Kombiticket mit Sonderausstellung 12 (erm. 8) Euro.

Kurze Sonderführungen am Sonnabend: 14.30, 15.30 und 16.30 Uhr; 15 bis 17 Uhr Führungen mit dem Zeichenstift.

Podiumsdiskussion am 15. Oktober um 15 Uhr zum Thema Umgang mit NS-Kunst: u. a. mit Irina Lammert, Wolfgang Ruppert, Wolfgang Ullrich und Thomas Bauer-Friedrich. Moderation Andreas Höll, MDR.