Künstlerin Lore Krüger Künstlerin Lore Krüger: Die Neuentdeckung einer Fotografin

Magdeburg - Alles begann im Café Bohème, Berlin-Prenzlauer Berg. Im Sommer 2008 besuchte die Literaturwissenschaftlerin Irja Krätke das alljährliche Ostberliner Treffen der ehemaligen Spanienkämpfer, um Lore Krüger kennenzulernen, eine damals 93-jährige Veteranin des Widerstands, die eine Bekannte des deutschen Juden und Kommunisten Kurt Goldstein war.
Zu dem Ehrenvorsitzenden des Internationalen Auschwitz-Komitees recherchierte die junge Frau, die alsbald in der Wohnung von Lore Krüger in der Karl-Marx-Allee stand. Die deutsche Jüdin, die 1933 ihre Heimat verlassen musste, um 1946 von Amerika her freiwillig in die nachmalige DDR zurückzukehren, blätterte der Zuhörerin ihr abenteuerliches Leben auf, buchstäblich. Mappen trug sie herbei, in denen sie Fotografien sammelte. Und einen Koffer, gefüllt von Lichtbildern und Dokumenten.
Deutsche Fotografin von internationalem Format
Ein Jahr darauf starb Lore Krüger, aber nicht das Wissen um ihre Geschichte, ihre Bilder, ihren Koffer. Von der Begegnung in der Karl-Marx-Allee an hatte Irja Krätke gemeinsam mit Cornelia Bästlein eine Ausstellung geplant, die die Fotografien der Lore Krüger in die Welt tragen sollten. Im Herbst 2012 war es so weit: Gemeinsam mit Lore Krügers Sohn Ernst Peter suchten die beiden Frauen die c/o Galerie in Berlin auf. Man hatte den Chefkurator Felix Hoffmann gefragt, ob er bereit sei, einige Fotos aus den 30er und 40er Jahren anzusehen. Ernst Peter Krüger hob den Koffer auf den Tisch und ließ die Schnallen aufschnappen.
Was dann geschah, sorgte zu Beginn dieses Jahres für Schlagzeilen: Es ist nicht weniger als die Neuentdeckung einer deutschen Fotografin von internationalem Format, einer Lichtkünstlerin, deren Name in einem Zuge etwa mit Ellen Auerbach, Grete Stern, Lucia Moholy und Marianne Breslauer genannt werden kann, die öffentliche Geburt einer Künstlerin aus dem Nichts. Rund 250 Fotografien enthielt der Koffer, Aufnahmen, die zwischen 1934 und 1944 entstanden sind, künstlerische, journalistische und gewerbliche Arbeiten, die auf ein Leben für die Fotografie hinführen sollten, was dann aus zuletzt gesundheitlichen Gründen nicht geschah.
Ausstellung im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg
Von einer Herzerkrankung ist die Rede, die Lore Krüger 1947 zum Aufgeben des Fotografierens zwang. Nur noch die nächsten Freunde, die eigene Familie wusste von dem Vorleben der Lore Krüger. In der c/o Galerie war die erste, sozusagen aus dem Koffer kuratierte Schau zu sehen. Die zweite läuft jetzt im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg. Eine Schau, die einem Glücksfall gleichkommt: Sie zeigt etwa 100 Fotografien, Dokumente und einige private Gegenstände.
Magdeburg ist kein Zufall. Hier wurde Lore Krüger 1914 als Tochter des Diplom-Ingenieurs Ernst Heinemann geboren, hier wuchs sie im Stadtfeld Ost in der bürgerlichen Goethe-Straße auf, mit Blick auf die gründerzeitliche Pauluskirche. Alles nahm in Magdeburg seinen Anfang: das Fotografieren, die Neigung zu Kunst und Gesellschaft. Bis die Nazis die Macht übernahmen und die Familie Krüger ihre bürgerliche Existenz verlor. Lore rettete sich 1933 als Au-pair-Mädchen nach London, den Eltern gelang mit der Tochter Gisela die Flucht nach Mallorca. Von London aus zog Lore 1934 nach Paris, um von 1935 an Unterricht bei der Fotografin und Moholy-Nagy-Schülerin Florence Henri zu nehmen, einer vormaligen Bauhäuslerin. Über Mallorca geriet Lore Krüger, die ihre Bilder mit „Lorè“ signierte, in den Sog des Spanienkrieges, arbeitete in Barcelona, wurde 1939 in Frankreich interniert, um in Richtung Amerika zu entkommen, wo sie sich in Long Island City, New York, als Fotografin mit Pariser Nimbus über Wasser hielt.
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„Paris“ ist die erste Abteilung der Schau überschrieben, die Stillleben und Objektfotografien nach der Schule des „Neuen Sehens“ zeigt: Teegeschirr, Weintrauben und Kastanienblätter, Studien von Textilien und Schellackplatten. Unverkennbar geht Lore Krügers künstlerisches Interesse in der Materialfotografie nicht auf. Sie liefert Bilder von Hafenarbeitern an der Seine, von Freunden, Weggefährten und Familienmitgliedern, allesamt Menschen auf der Flucht. Aufnahmen von der Weltausstellung 1936 in Paris kommen hinzu. Einzigartig gelingt die „Gitanes“ betitelte Reportageserie über Sinti und Roma im französischen Wallfahrtsort Saintes-Maries-de-la-Mer.
Eine Frau, die mit entblößter Brust ihr Baby stillt, ein Mann, der ein behindertes Kind auf dem Arm trägt. Keine gängigen Motive um 1936. „Ich wünschte das Leben zu beobachten und mit meiner Kamera einzufangen“, wird Lore Krüger in der Schau zitiert. Das gelingt ihr auch in New York, wo sie in der Redaktion der linken Exilzeitschrift „The German American“ anheuert. In deren Umfeld entstehen die in Magdeburg gezeigten Porträts unter anderen von Alfred Kantorowicz, Hans Marchwitza, László Radványi, dem Ehemann von Anna Seghers. In einer Vitrine liegt der Abschiedsbrief der Eltern, die sich 1940 auf Mallorca das Leben nahmen. Daneben eine Kamera.
Zu der griff Lore Krüger nach 1946 nicht mehr. Für den Aufbau Verlag arbeitete die Mutter von zwei Kindern fortan als Übersetzerin. Noch wer den Namen Lore Krüger zu DDR-Zeiten nicht kannte, hatte sehr wahrscheinlich einmal eines der von ihr übersetzten Bücher in der Hand. In der Schau sind Übersetzungen von Mark Twain und Daniel Defoe zu sehen.
Bis 23. August: Di-Fr 10-17, Sa-So 10-18 Uhr, Montag geschlossen. In der Ausstellung: Mittwoch, 24. Juni, 19 Uhr. Lesung aus den Memoiren der Fotografin und Gespräch mit Tochter und Sohn von Lore Krüger (mz)

