Kunsthandwerk Kunsthandwerk: Freies Spiel mit edlem Material
BERLIN/MZ. - An der nächstgelegenen S-Bahnstation Tiergarten sucht man nach einem Hinweis vergebens, dabei führt die Wegelystraße, die nach dem Fabrikgründer benannt ist, vom Eingang geradewegs dorthin. Zurückgesetzt von der Straße öffnet sich die arkanische Welt der Porzellanherstellung in einem Hof aus Backsteinbauten und modernen Erweiterungen, in der die Manufaktur auch marketinggerecht ihre "KPM Welt" betreibt - ein Fabrikmuseum zwischen historischem Anspruch und Verführung zum Luxus.
Darin steckt spätestens seit dem 20. Jahrhundert das fortwährende Dilemma eines Kunsthandwerks, das längst zur Domäne der Massenhersteller geworden ist, aber noch im schnödesten Kantinenteller das edle und kostbare Material nicht verleugnen kann. Wie es dazu kam, das illustriert jetzt die jüngste der etwa halbjährlich wechselnden Sonderausstellungen. Sie führt in die 20er Jahre und nach Halle, wo die damalige Kunsthandwerkschule Burg Giebichenstein eine folgenreiche Zusammenarbeit mit der Manufaktur begann.
Einfachheit statt Überschwang
Wie folgenreich, das wird beim Gang entlang der historischen Sammlungen des Hauses deutlich. Der Überschwang an goldlackierter Farbenpracht und antik-inspirierter Formenvielfalt, zuerst für höfische, dann großbürgerliche Sehnsüchte von standesgemäßem Auftritt, mündet abrupt in vermeintlich nüchterner Einfachheit. Man steht vor einem Kaffeeservice aus rein weißem Porzellan in kubischer, schnörkelloser Form.
Bauhaus? Ja und nein: Denn Urheber dieser Geschmacksrevolution waren zwar Lehrer und Schüler am Bauhaus Weimar gewesen, die aber 1925 dem Ruf Paul Thierschs an die Burg folgten. Gerhard Marcks übernahm die Leitung einer zweiten Klasse für Skulptur, Marguerite Friedlaender baute die Töpferei zur Keramikklasse aus. Im November 1929 schloss die Burg einen Vertrag mit KPM, dessen Direktor Günther Freiherr von Pechmann die Chance zum Übergang in die Moderne erkannt hatte.
Über eine nur kurze Blütezeit sollten der Bildhauer und die Keramikerin, jeder auf seine spezifische Weise, Entwürfe liefern, die dem Gebrauchsgeschirr zur zeitlos gültigen Form verhalfen, inspiriert unter anderem von technischen Utensilien aus der Porzellanindustrie selbst. Da reihen sich nun in zartem Elfenbeinweiß die Tassen, Teller, Kannen und Becher aus den Serien "Hallesche Form" und "Burg Giebichenstein", bis hin zu "Urbino" aneinander, die in Berlin davon inspiriert wurde. Es ist die unverbrauchte Anmutung, die erstaunt, ob in Marcks' kantigen "Rohkostschalen" auf flachem Tablett oder in Friedlaenders immer noch produzierter "Halle"-Vase mit ihrer Mischform aus Bauch und Kelch.
Der Preis der Schönheit
Das Edle und Kostbare liegt in der Gestalt des jeweiligen Gefäßes, seinen Proportionen und Feinheiten - deutlich skulptural bei Marcks, fließend elegant bei Friedlaender. Für den Massenmarkt erschwinglich wurde es dadurch freilich nicht, erst recht, wenn doch wieder (minimalistische) Farbdekore dazukamen. Darüber klärt auch das Angebot im Shop sehr bald auf. Aber das Ideal der Schlichtheit, wie es in diesen Jahren entstand, ist dennoch zum Maßstab für den Markt geworden.
Die Manufaktur nahm den historischen Rückblick zum Anlass, der Keramik-Klasse der heutigen Kunsthochschule Burg Giebichenstein erneut eine Zusammenarbeit vorzuschlagen. Dreizehn Studentinnen haben sich darauf eingelassen und "Small Dishes" entworfen, die bei Marcks' Rohkostschälchen noch einmal neu ansetzen. Bei KPM ist dieses "Kleine Geschirr" sozusagen als Versuchsanordnung entstanden, und das fernab von jedem Massengedanken.
Wie könnte es auch anders sein bei so exquisiten Funktionen wie "Schokoladenfondue"? Der Pralinen-Gourmet bekommt Gelegenheit, seine Köstlichkeiten auf Schälchen mit Goldgrund zu präsentieren, oder den Pudding in Schälchen zu gießen, wo die auswechselbaren Böden kleine Figuren eindrücken. Das zarte Weiß ist geblieben, hie und da durch sparsame farbliche Akzente belebt, doch das geschmackvolle Porzellan für alle will keiner mehr neu erfinden - jetzt darf mit dem edlen Stoff gespielt werden.
KPM Welt, Wegelystraße 1, Berlin, bis 16. Mai, täglich 10-18 Uhr. Katalog zur historischen Ausstellung 12 Euro, zu "Small Dishes" 2,50 Euro.