Kulturgut Kulturgut: Musikarchiv digital - Alte Noten online
Dresden/dpa. - «Du wolltest Segen, so wurd es Regen, derdeiner Augen Glas mit scharfem Tränenschmerz zerrissen», reimte vor350 Jahren der Dresdner Hofbibliothekar Christian Brehme, nachdemseine Frau Anna Margarethe gestorben war. Heinrich Schütz vertonteden traurigen Text noch im selben Jahr. Einhundert Jahre später wurdeder höfische Notenbestand allerdings vernichtet. Die heute nocherhaltenen Musikalien der Dresdner Hofkapelle wie Notenhandschriftenzählen zu den kostbarsten kulturellen Schätzen der Stadt. Sie werdengerade aufwendig digitalisiert.
«1760 beschossen die Preußen Dresden mit Artillerie», erzählt KarlWilhelm Geck. Er ist als Leiter der Musikabteilung der SächsischenLandesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB)und sozusagen ein Amtsnachfahre Brehmes. «Die kurfürstlicheInstrument-Cammer ging damals in Flammen auf, und der dort lagerndeältere Teil der Dresdner Hofmusik, einschließlich des Nachlasses vonHeinrich Schütz, wurde vernichtet», berichtet der Archivar.
Auch die Kriegsverluste des 20. Jahrhunderts sind schmerzlich.Mehrere zur Dresdner Hofkirchenmusik des 18. Jahrhunderts zählendeHandschriften hat Geck vor sechs Jahren in der RussischenStaatsbibliothek gesichtet. «Das war aber nur die Spitze desEisberges - wo der Rest liegt, wissen wir bis heute nicht.»
Von Zeit zu Zeit spülen Recherchen immer wieder ein winziges StückDresdner Hofmusik an. In der Washingtoner Kongressbibliothekentdeckte der in Zürich wirkende Musikhistoriker Nicola Schneiderunlängst die Mikrofilmkopie eines Konzerts des BarockkomponistenTomaso Albinoni. Reproduktionen weiterer Kriegsverluste fanden sichim Nachlass eines Salzburger Musikgelehrten.
Was von der Musik der Dresdner Hofkapelle - der heutigenStaatskapelle Dresden - noch übrig ist, braucht dennoch keinenVergleich zu scheuen. Der in der SLUB archivierte Notenfundus lässtbeispielsweise das erhaltene Musiziergut der Mannheimer Hofkapellequantitativ weit hinter sich.
Insgesamt besitzt die Landesbibliothek mehr als 19 000Notenhandschriften und damit den drittgrößten staatlichen Bestand anMusikmanuskripten in Deutschland. Nur die Staatsbibliotheken inBerlin und München haben mit 67 000 beziehungsweise 39 000Manuskripten noch mehr. Digital hätten aber die Dresdner die Nasevorn. «Mit der Digitalisierung und Verbreitung solches musikalischenQuellenmaterials entsteht eine neue Informationskultur im Netz. Wirerleben damit eine Renaissance der Wissensverbreitung, vergleichbarder nach Gutenberg», sagt SLUB-Chef Thomas Bürger.
Zur Sammlung gehören beispielsweise die bereits erschlossene unddigitalisierte Instrumentalmusik des 18. Jahrhunderts - ein von derDeutschen Forschungsgemeinschaft DFG unterstütztes Projekt namens«Schrank II» - sowie die «Königliche Privat-Musikaliensammlung» mitdem Notenbesitz der Wettinischen Familie. Auch die Kirchenmusik desDresdner Hofes und die Musikalien der Hofoper lagern hier.
«Wenn wir die benötigte Förderung bekommen, wollen wir all dieseOpernmanuskripte digitalisieren und ebenfalls ins Netz stellen»,betont Geck. Das wäre eine Premiere, denn bisher hat weltweit wedereine Bibliothek noch ein Notenarchiv historische Musikalien einerbedeutenden Opernbühne vollständig im Web verfügbar gemacht.
Dieses Vorhaben soll mit der Semperoper angepackt werden; einFörderantrag ist gestellt. Ausgesuchte Musikschätze aus der Zeitzwischen 1600 und 1800 wurden von Musikwissenschaftlern der DresdnerUniversität ediert und sind bereits in der Online-Edition «Denkmälerder Tonkunst in Dresden» kostenlos auf den Webseiten der Bibliothekabrufbar. «Wir befinden uns mit der zunehmenden Digitalisierung vonMusik und ihrer Nutzbarmachung im Internet am Beginn einer Revolutionim Verlagswesen», sagt Professor Hans-Günter Ottenberg vom Institutzur Erforschung und Erschließung der Alten Musik in Dresden.
Immer öfter werden die Archivschätze auch von Musikern wieder zumKlingen gebracht. Erst zum Jahreswechsel hat das PragerBarockorchester Collegium 1704 in Dresden das «Te Deum» von JanDismas Zelenka aufgeführt - das zugehörige Autograph liegt in derSLUB.