Krimi um Luthers SargKrimi um Luthers Sarg: Was 1892 aus den Überresten des Reformators abgezweigt wurde

Wittenberg - Aus heutiger Sicht mutet das, was jetzt in der Stiftung Luthergedenkstätten Wittenberg öffentlich wurde, wie der Plot zu einer Kriminalkomödie an. Seinerzeit, Ende des 19. Jahrhunderts, war es ein handfester Krimi. Und auch politisch brisant. Denn immerhin setzten sich zwei in Wittenberg tätige Männer, der kaiserliche Baumeister Groth und sein Maurerpolier Römhild, über das ausdrückliche Verbot dreier deutscher Kaiser hinweg. Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. hatten die klare Ansage gemacht: Nach Luthers Sarg wird nicht gegraben, punktum!
Dass die beiden Herren, Groth und Römhild, der später als Küster in der Schlosskirche tätig war, dennoch buddelten, steht in einer langen Vorgeschichte, die viel mit Mythen, für die auch Protestanten anfällig sind, zu tun hat. Zudem ist es beim illegalen Graben der beiden Wahrheitssucher zu einer weiteren Straftat gekommen - beide sind freilich verjährt.
Luthers Sarg wurden „Souvenirs“ entnommen
Deshalb konnten die dem seinerzeit gefundenen Luther-Sarg entnommenen „Souvenirs“ nun auch unbedenklich präsentiert und dem Bestand der Stiftung Luthergedenkstätten einverleibt werden. Über all dies hat jetzt der Theologe Helmut Liersch aus Goslar in der Kapelle im Augusteum Wittenberg gesprochen. Der spektakulären Ankündigung entsprechend war der Saal übervoll mit neugierig geneigtem Publikum, das durch Lierschs launigen Vortrag auch voll auf seine Kosten gekommen sein dürfte.
Die Fundstücke selbst sind auf den ersten Blick wenig aufregend: Ein Zinkstück von etwa fünf mal fünf Zentimetern Größe sowie Rostpartikel - Liersch zufolge dem (inneren) Zinkbeschlag und dem äußeren, aus Holz gefertigten Sarg - beziehungsweise einem von dessen eisernen Beschlägen zuzuordnen. Ein drittes Objekt, ein metallener Tragegriff, war schon im Jahr 1913 aufgetaucht und wird seit 2003 im Wittenberger Lutherhaus gezeigt.
Fundstücke vom Luther-Sarg landeten bei Pfarrer Martin Quandt
Die anderen Stücke waren bis jetzt getreulich von der Familie Quandt bewahrt worden. Der pensionierte Pfarrer Martin Quandt, Urenkel des zur Tatzeit in Wittenberg tätigen Seminardirektors Emil Quandt, hat die Objekte samt einiger sachdienlicher Schriften nun der Stiftung übergeben, die sich dem Erbe des Reformators widmet.
Emil Quandt hat seinerzeit von der heimlichen Grab-Gräberei erfahren, die wegen des kaiserlichen Verbots keine größere Öffentlichkeit erhalten durfte. Und er übernahm die Fundstücke.
Das Geschehen, dass man sich krimigerecht bei Nacht und Nebel, im flackernden Schein einer rußenden Lampe vorstellen will, begab sich am 14. Februar 1892 - an einem lichten Sonntagvormittag, zur besten Gottesdienstzeit. Aber die Schlosskirche, im Siebenjährigen Kriege und noch einmal während der Befreiungskriege schwer zerstört und später umgeformt, war ja noch im Umbau. Die feierliche Einweihung sollte erst am 31. Oktober des selben Jahres stattfinden.
Frage des 19. Jahrhunderts: Liegt Luther wirklich im Sarg?
Mit der 1883, anlässlich von Luthers 400. Geburtstag begonnenen, grundhaften Sanierung des Gotteshauses wurde zugleich der kaiserliche Lutherkult begründet. Daran sollte nicht gedeutelt werden, Luther und die Schlosskirche waren gewissermaßen Chefsache. Und in dieses Konzept passten keine zweifelnden Überlegungen, wie sie seit Luthers Tod und seiner Beisetzung in der Schlosskirche im Jahr 1546 immer wieder angestellt worden waren.
Gerüchte hatten die Runde gemacht, berichtete Helmut Liersch in seinem Vortrag, wonach Luther gar nicht im Sarg gelegen habe, sondern entweder (dies eine katholische Vorstellung) gleich zur Hölle gefahren oder doch verbrannt worden sei, die Asche in der Elbe verstreut.
Man wird sich darüber heute belustigen, damals war das eine ernste Sache. Nicht ohne Grund hatte man gleich nach des Reformators Hinscheiden in Eisleben einen regionalen Maler herbeigeholt, der den toten Luther so porträtierte, dass kein Zweifel aufkommen sollte: Der von Rom Abtrünnige war im Frieden des Herrn gegangen, sein Gesicht nicht von teuflischen Qualen verzerrt, die mancher Zeitgenosse dem „Ketzer“ an den Hals gewünscht hatte.
Vor diesem ungewissen Hintergrunde scheint die 1892 neuerlich aufgeflammte Sorge ehrenwerter Protestanten schon nachvollziehbar, ob ihr Kirchengründer nun wirklich ordnungsgemäß in seinem Sarg in Nachbarschaft fürstlicher Gräber liege oder nicht. Und die Gelegenheit nachzusehen war angesichts der Bauarbeiten in der Schlosskirche günstig. Ob der Fund des Sarges nun freilich der letzte Beleg ist, steht dahin. Helmut Liersch beendet die Spekulationen heiter und generös: „Nun wollen wir nicht länger zweifeln: Luther liegt drin!“ (mz)
