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Konzert Konzert: Michael Stipe zaubert vor Magdeburgs Dom

Von Andreas Montag 02.06.2005, 16:24

Magdeburg/MZ. - Natürlich hätte der Domplatz noch ein paar Leute mehr verkraftet, aber der Enthusiasmus von reichlich zehntausend zahlenden Fans macht es wett. Nicht gerechnet die Zaungäste, die nach günstigen Hörgelegenheiten gesucht hatten. Im Landtag, dessen Gebäude den Platz an einer Seite flankiert, hat mancher am Mittwochabend wohl eigens Überstunden gemacht.

Lange vor neun (da soll die Show beginnen), tummelt sich Volk auch auf dem benachbarten, aufgehübschten Neubau und selbst auf des Domes Zinnen. Von dort wird man allerdings etwas Entscheidendes entbehren: Den Blick auf den gewaltigen Klotz von Bühne, der dem Gotteshaus ja den Rücken kehrt. Wer aber die Bühne nicht sieht, sieht Michael Stipe nicht. Und (unter anderem) deshalb ist man doch gekommen! Denn auch wenn der 45-Jährige Ausnahmeathlet sowohl seine Bandkollegen Peter Buck (Gitarre) und Mike Mills (Bass) ebenso wie die exzellenten Tourmusiker alle schuldige Ehre erweist - er ist der Chef. Auf ihn richten sich die Blicke. Er allein zelebriert die Show. Und lässt eine entscheidende Frage offen. Würde sie je beantwortet, stürzte das artistische Kunstwerk R.E.M. in den Staub des gewöhnlichen Pop. Die Frage lautet: Wieviel Stipe ist in den unglaublichen Posen, wie nahe lässt er die Gemeinde kommen?

Näher jedenfalls, als man es nach Ansicht auf Fernsehschirmen glauben möchte. Nach so vielen Jahren im alles andere als sentimentalen Geschäft des Rock'n'Roll wirken R.E.M. auf eine fast ungeschützte Weise neugierig und ehrlich. Und das, obwohl doch die Grimassen, Gesten, Gänge trainiert sind bis hin zum Ausstrecken des Armes, der das Mikrofon samt Ständer dem in den ersten Reihen jubelnden Volk vor den Schlund hält, damit man weiter hinten den Jubel besser hört.

Dabei ist das Spiel erkennbar immer auch das Spiel mit der Unsicherheit. Herrisch, herausfordernd, auch mit einem Schuss Ironie: Na, wie gefällt euch das? Acht Minuten nach neun ist er auf die Bühne gekommen, hat mit "I Took Your Name" begonnen, hat Eindruck geschunden mit seinem schicken Anzug samt Hemd und Krawatte. Mit seiner blauen Zorro-Maske sowieso, die er den ganzen Abend lang verteidigen wird. Sie ist wohl weniger Markenzeichen als klare Ansage: Ihr seht etwas, aber alles seht ihr nicht. Ihr kennt mich gut, aber ein bisschen fremd will ich schon bleiben dürfen.

Das würde prima funktionieren, strafte der Sänger sich mit seinen Songs nur nicht selber Lügen. Einige Male wenigstens. Rührend, ihn die im Radio totgedudelte Hymne auf sein New York ("Leaving New York") singen zu hören - es ist soviel Liebe in diesem Stück, dass einem wirklich wohl ums Herz wird.

Diese Anmutung von Wärme kann man gut brauchen in der klaren, verdammt kalten Nacht von Magdeburg. "Electrolite", "Everybody Hurts" - R.E.M. geizen nicht mit gefühlsstiftenden Klassikern, dazu gibt es auch weniger Gängiges wie das knarzige "Wanderlust". Zwei Stunden dauert die Show mit Zugaben. Michael Stipe hat seinen Oberkörper wie gewohnt fast ganz entblößt. Er hat für amnesty international geworben und den Namen der Vorband Kettcar genannt (die tapferen Hamburger klangen vor dem Riesenpublikum leider ein bisschen dumpf, wie aus der Tonne). Die Menschen waren begeistert, der Dom blieb stehen - trotz "Losing My Religion". Und die Maske blieb, wenn auch ramponiert, auf dem Gesicht. R.E.M. rocked.