Musik-Legende Konzert in der Arena: Bob Dylan fühlt in Leipzig seinen alten Liedern auf den Zahn

Leipzig - Eben hat der große, alte Mann Feierabend gemacht, nach einer Stunde und 45 Minuten. Da steht draußen vor der Arena Leipzig ein Bürschchen und krächzt „Hey, Mr. Tambourine Man“ - wie einst der junge Dylan selbst.
Ein Déjà-vu in lauer Abendluft, das einen rührt und tröstet: Denn so sehr man dem fast 77-jährigen Original diesen Frühling gönnt, den er auf der Bühne gerade fast trotzig gefeiert hat - der Herbst seiner Karriere ist unweigerlich angebrochen.
Bob Dylan in Leipzig - alte Songs neu interpretiert
Da glaubt man gern, dass etwas bleiben wird von Dylans Werk, das seinesgleichen sucht in der Geschichte der populären Musik. Keines Musikers Songs sind so oft und so unterschiedlich gecovert worden wie eben seine - nicht zuletzt von ihm selbst.
Seit Jahrzehnten variiert und verfremdet er das eigene Material immer wieder, in jedem Konzert. Das unterscheidet den lustvoll Kreativen von all den Oldie-Hitparadenstars, die ihre Erfolgstitel so oft und so exakt wie möglich herunterklappern, weil das Publikum mitschunkeln soll. Das ist Dylans Sache nie gewesen.
Bob Dylan lässt in Leipzig die Gitarre im Koffer
Auch am Mittwochabend in Leipzig nicht. Allerdings: Er ist deutlich gealtert, auch wenn er sich das nicht anmerken lassen will. Fast den ganzen Abend lang bleibt er hinter dem Flügel verschanzt, drei, vier Nummern singt er im Stehen. Dass er mit der Rechten dabei einen Mikrofonständer in Rockerpose schräg hält und einen zweiten mit der anderen Hand umklammert, kann freilich auch lässig gemeint sein.
Gitarre und Mundharmonika, die er bei Konzerten oft gespielt hat, lässt er dieses Mal im Koffer. Es scheint, als wolle er sich ganz und gar auf seinen Gesang und die einmal mehr überraschenden, mit Tempo und Rhythmus spielenden Arrangements seiner Lieder konzentrieren. Das hat sich jedenfalls gelohnt, es ist ein großartiger Abend geworden.
Bob Dylan erteilt in Leipzig absolutes Fotoverbot
Ansonsten ist fast alles wie immer. Die Dylan-Gegner bekommen natürlich ihr Futter, dem Patriarchen ist das egal. Weder hat er „Hallo, Leipzig!“ noch „Danke!“ ausgerufen. Nicht einmal die hervorragenden Musiker seiner Band stellt Dylan vor. Und er hat sich wieder einmal nicht von Fotografen ablichten lassen, was auch einer gewissen Eitelkeit geschuldet sein könnte.
Überhaupt: Die Knipserei kann er immer weniger leiden. Mehrmals werden Besucher des Konzertes vorab darauf hingewiesen. Einer der Sicherheitsleute, die die Gäste auf was auch immer abtasten, hat es schon fast besorgt gesagt: „Sie haben ein Telefon? Das müssen Sie bitte ausschalten, wenn die Show beginnt.“ So höflich sind die Rausschmeißer vor der Arena neuerdings.
Dann wird die Botschaft, wieder betont zuvorkommend, via Lautsprecher verkündet. Mehrmals. Und sogar auf Englisch. Hier schwingt allerdings auch ein gewisses Drohpotenzial mit: Wer nicht hören will, muss fühlen! Das heißt, wer das Smartphone zückt und auf den Künstler richtet, wird des Saales verwiesen. „Er will kein einziges Handy sehen“, sagt ein Ordner.
Bob Dylan - Eigenbrötler und Poet
So ist er, der Bob. Ein grantiger Eigenbrötler, der aber ein großes Herz hat. Man kann es in seinen poetischen Texten nachlesen, für die er zuletzt tatsächlich den Literaturnobelpreis verliehen bekommen hat. Er ist zudem der wahrscheinlich einflussreichste Rockmusiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus. Selbst ganz junge Songwriter berufen sich heute wieder auf ihn.
Manchmal wird ihm diese Rolle als grauer Leitwolf wohl selbst unheimlich vorkommen - so wie damals schon, als ihn die angehenden 68er anhimmelten, als sei er die Reinkarnation von Jesus Christus. Seinerzeit hat er sich nach einem rätselhaften Motorradunfall lange zurückgezogen und Songs geschrieben. Was sonst hätte er auch tun sollen?
Bob Dylan auf Welttournee in Leipzig - die Sounds mischen sich
Weiter, immer weiter geht indessen seine Welttournee. Zürich und Leipzig, Oberhausen und Bielefeld, Verona in der kommenden Woche. Immer schärfer fühlt Dylan seinen Liedern auf den Zahn, immer genauer spiegelt er sie an seiner Lebensbahn und den Zeitläuften.
Dabei mischen sich fröhlich die Sounds: Jazz und Ragtime, Rock und Blues - Dylan holt alles, was er liebt, auf die Bühne, die im warmen Licht schummriger Retro-Scheinwerfer wie ein Wohnzimmer der 50er Jahre aussieht.
Und tatsächlich ist die Bühne ja der Ort, an dem der Künstler Dylan lebt und seine Zeitreise durch fast 60 Jahre zelebriert. Den „Highway 61“ brettert er noch einmal entlang, „Desolation Row“ gibt es zu hören, das düstere, herzzerreißende „Love Sick“. Und „Blowin’ In The Wind“. Ein Lied, das jeder kennt. Aber nicht alle wissen, dass Dylan es geschrieben hat. Hier fängt der Weltruhm an: Wenn ein Werk seinen Urheber überstrahlt.
(mz)