Komik, Tragik, Genie: Charlie Chaplin wäre 120
New York/dpa. - An falscher Bescheidenheit litt Charlie Chaplin nicht. «Ich bin selbst in Teilen der Welt bekannt, wo die Menschen noch nie etwas von Jesus gehört haben», sagte er einmal - und hatte recht.
Schon in jungen Jahren war der geniale Komiker rund um den Globus der populärste Star der Stummfilm-Ära. Bis heute gilt er als Ikone der Filmgeschichte. Heute (16. April) wäre der 1977 in der Schweiz gestorbene Brite 120 Jahre alt geworden.
Seine große Zeit hatte Chaplin in Hollywood - die Traumfabrik machte ihn reich, berühmt und unglücklich. Mit unerschöpflichem Einfallsreichtum, einem untrüglichen Gespür für Situationskomik und tiefer menschlicher Anteilnahme schildert er in seinen mehr als 90 Streifen die großen und kleinen Katastrophen des Alltags. «Alle meine Filme bauen auf der Idee auf, mich in Schwierigkeiten zu bringen, damit ich mich nachher verzweifelt ernsthaft darum bemühen kann, als normaler kleiner Gentleman aufzutreten», verriet er einmal sein Erfolgsrezept.
Am 16. April 1889 in elenden Verhältnissen in London geboren, kam Charles Spencer Chaplin, so sein voller Name, 1913 mit einer Wanderbühne in die USA. Die Schauspielerei lag ihm im Blut: Auch die psychisch kranke Mutter und der früh am Suff gestorbene Vater waren Varieté-Künstler. In Hollywood entdeckt der Filmpionier Mack Sennett das Talent und wirbt den jungen Mann für seine Komödienfabrik Keystone ab.
Schon vom zweiten Film an trägt Chaplin das Kostüm, das zeitlebens für ihn zum Markenzeichen wird: Riesige Hose, übergroße Schuhe, abgewetztes Jackett, verbeulte Melone - und vor allem das Spazierstöckchen, das ihn auf Schritt und Tritt bei allen Ungeschicklichkeiten begleitet: «Es war mit mir so verwachsen, dass es schon sein eigenes komisches Leben bekommen hat.» Der Originalstock aus dem Film «Moderne Zeiten» brachte 2004 bei einer Versteigerung 69 300 Euro ein.
35 Kurzfilme drehte Chaplin im ersten Jahr - für 175 Dollar die Woche. Vom 20. Film an wird er sein eigener Regisseur, eine beispiellose Karriere folgt. «The Tramp» aus dem Jahr 1915 wird sein erstes Meisterwerk, viele andere folgen. Schon nach zwei Jahren gilt er als Top-Figur in Hollywood, seine Streifen sind Publikumshits. Ein Kino in New York spielt von 1914 bis 1923 ununterbrochen seine Filme. Nur einmal gibt es eine Pause - als das Haus abbrennt.
1919 gründet das Multitalent zusammen mit Mary Pickford, Douglas Fairbanks und D.W. Griffith das Studio United Artists, in dem seine berühmtesten Filme entstehen: etwa «The Kid» (1921) mit dem von da an typischen bittersüßen Pathos und «Goldrausch» (1925), den viele Kritiker bis heute für seinen besten halten. Schon bei der ersten Oscar-Verleihung 1929 erhält er einen Spezialpreis für seinen «Genius» als Drehbuchschreiber, Schauspieler, Regisseur und Produzent im Film «Der Zirkus».
Selbst als längst der Tonfilm Einzug in Hollywood hält, macht Chaplin weiter künstlerisch und kommerziell höchst erfolgreiche Stummfilme wie «Lichter der Großstadt» (1931) und «Moderne Zeiten» (1936), zu denen er allerdings eigene Musik komponierte. Sein erster Tonfilm wird «Der große Diktator», eine grimmig-satirische Abrechnung mit Hitler und Mussolini, die die amerikanische Zensurbehörde zunächst nicht genehmigen wollte.
Im wirklichen Leben hatte der beim Publikum so beliebte Filmemacher ständig schwere Probleme: Seine Hang zu jungen Frauen brachte ihm Konfrontationen mit dem Staatsanwalt, denen er mehrfach nur durch schnelle Eheschließungen entkam. Mit 28 und mit 35 heiratete er jeweils eine 16-Jährige, mit 44 gab er heimlich der 25 Jahre jüngeren Schauspielerin Paulette Goddard das Jawort.
Erst die Hochzeit mit Oona O'Neill, der Tochter des Literatur-Nobelpreisträgers Eugene O'Neill, brachte 1943 Ordnung in sein privates Leben: Er war 54, sie 18, als sie gegen den erbitterten Widerstand ihres Vaters ein Paar wurden. Das älteste der acht Kinder ist die Schauspielerin Geraldine Chaplin (64), die Tanja aus «Doktor Schiwago».
Die politischen Probleme des Filmemachers waren damit allerdings noch längst nicht vorbei: Die amerikanischen Kommunistenjäger der McCarthy-Ära verfolgten ihn wegen der linken und pazifistischen Botschaften seiner Filme. Als er und Oona 1952 per Schiff zur Weltpremiere von «Rampenlicht» in London unterwegs waren, erreichte sie die Nachricht, dass Chaplin nicht wieder in die USA einreisen dürfe.
Tief verletzt («Ich habe genug von Hollywood») verbrachte der Weltstar den Rest seines Lebens in der Schweiz, in einem Landschloss am Genfer See. Erst 1972 kehrte er noch einmal kurz in die USA zurück, um erneut einen Ehren-Oscar in Empfang zu nehmen. Da war er allerdings schon so gebrechlich, dass er kaum mehr sprechen konnte. Am ersten Weihnachtsfeiertag 1977 starb Charlie Chaplin mit 88 Jahren im Schlaf. Seine Anfänge in Hollywood behielt er trotz allem in guter Erinnerung. «Ich konnte alles ausprobieren in dieser Zeit», sagte er einmal. «Ich war frei.»