Kluges Filmmontagen - Ein ganzes "Pluriversum"

Essen - Alexander Kluge interessiert sich eigentlich für nicht weniger als alles. Kaum ein naturwissenschaftliches, politisches oder auch persönliches Ereignis, das dem 85 Jahre alten Filmkünstler und Autor nicht Anlass und Stoff für einen Film oder einen Text gab und gibt.
Der Titel „Pluriversum” der neuen Werkschau im Museum Folkwang in Essen ist daher Anspruch und Programm zugleich. „Pluralität” und „Universum” stecken darin.
Zu sehen sind vor allem Filminstallationen, eigens gefertigt für die inhaltlich komplexe Ausstellung, 28 Stück an der Zahl. Themen der Montagen sind etwa Krieg, Liebe, Arbeit oder das Verhältnis des Menschen zu den Tieren. Anlass der Schau ist der runde Geburtstag Kluges Anfang dieses Jahres.
„Es ist keine Ausstellung über, sondern von Kluge”, sagt Kuratorin Anna Fricke. Sie hat die Schau in sechs Räumen zusammen mit Kluge entwickelt. Erstmals werde Kluges Werk in den musealen Raum verlegt, betont das Museum. Es habe ihm „überraschend Spaß” gemacht, sagt der Büchner-Preisträger in Essen. „Ausstellungen sind ideale Werkstätten für etwas Neues.”
Mit einer „Sternenkarte der Begriffe” empfängt die Schau den Besucher. Auf wandhohe Sternenhimmel-Fotografien sind Schlüsselbegriffe von Kluges Arbeiten zu lesen: „Bodenhaftung”, „Eigensinn”, „Öffentlichkeit” oder „Arachne, die Spinne”. Wiederholt hat Kluge seine Arbeit mit der einer Spinne verglichen. „Er webt ein Netz aus Themen und Medien”, so das Museum. Das Zitat „Halberstadt brennt” bezieht sich auf die eigene Erfahrung Kluges, der 1945 kurz vor Kriegsende als Jugendlicher in seiner Heimatstadt einen Bombenangriff überlebte.
Ein Raum ist dem Thema „Lebenszeit” gewidmet. „Wo du nicht lieben kannst, da gehe vorüber”, liest der Besucher zu Beginn. Und: „Ach, wir müssen alle sterben.” Eine echte Geburtszange verweist auf den mitunter beschwerlichen Anfang des Lebens. Ein ziemlich alter Film zeigt dazu die echte Geburt eines Kindes - ohne Zange.
Eine andere Montage zum Thema „Arbeit - Anti-Arbeit” zeigt Bauarbeiter bei Stahlbetonarbeiten auf einer Großbaustelle - und eine Pianistin an ihrem Instrument. Eine (entschärfte) Weltkriegsbombe (aus dem Ruhrmuseum) macht das Thema Krieg augenfällig. Daneben läuft ein Stummfilm mit historischem Filmfragmenten, der die Geschichte eines deutschen Soldaten in Stalingrad erzählt, der verwundet wird, nicht ausgeflogen wird, einen Piloten bestechen will, erwischt wird und bald darauf von den eigenen Leuten erschossen wird.
Die größte Filminstallation nimmt einen ganzen Raum ein. „Pluriversum der Bilder” hat der Autor sie genannt. Auf alle vier Wände und an die Decke werden unterschiedliche Filmmontagen projiziert, alle 13 Minuten und 30 Sekunden lang. Zu sehen sind etwa Politiker wie Trump oder Putin, brennende Kerzen, singende Buckelwale oder Elefanten-Hautpflege in einem Zirkus. Kluge lässt die Bilder aufeinander prallen. Der Zuschauer ist gefordert, Bezüge herzustellen und seine Schlüsse daraus zu ziehen.
Kluges Werk kann in diesen Tagen nicht nur in Essen studiert werden. Vom 14. Oktober an zeigt der Württembergische Kunstverein in Stuttgart die Einzelausstellung „Gärten der Kooperation”. Sie basiert auf der gleichnamigen Ausstellung, die 2016 in Barcelona zu sehen war. Noch bis Ende November ist Kluge außerdem in Venedig in der Ausstellung „Das Boot ist leck/Der Kapitän hat gelogen” vertreten. (dpa)

