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Kirchenkunst Kirchenkunst: Nie gesehenes Leid

Von günter kowa 19.06.2012, 18:23

gehrden/berlin/MZ. - Die Malerin leuchtend-lebensfroher Bilder von Frauen, Xenia Hausner, ist in Wien und Berlin zu Hause, in großen Ausstellungen unterwegs und in namhaften Galerien vertreten. Ihre nicht selten wandhohen Gemälde erzielen hohe fünfstellige Preise. Doch kürzlich konnte man die Tochter Rudolf Hausners, des Wiener Surrealisten, auf einer anderen Bühne und vor einem für sie eher ungewohnten Publikum erleben.

Im Halbdämmer der elbnahen romanischen Dorfkirche von Gehrden bei Zerbst hatten sich Mitglieder der Gemeinde um sie versammelt, um auf briefpapiergroßen Computerausdrucken ihre Entwürfe für die Apsisfenster in Augenschein zu nehmen: eine "Kreuzigung", wie sie kein Kirchgänger je gesehen hat. Denn weder Richtstätte noch Marterinstrument sind in hergebrachter Manier dargestellt, nur das mittlere der drei etwa kindshohen Fenster spielt mit dem Motiv von zwei ineinander verschränkten Armen überhaupt darauf an. Flankierend sind Frauenköpfe aus fast körperlich spürbarer Nähe anzusehen, die mit ernster Miene unter aufgewühltem Haar auf ein Geschehen blicken, das sie tief innerlich zu berühren scheint. Nun berichten die Evangelisten in ihrer Darstellung der Passion von den "Frauen, die von fern zuschauten", die "Jesu gefolgt waren" wie Maria Magdalena. Doch die Ebene bildlicher Bibelexegese tritt sichtlich hinter der Durchdringung eines erschütternden Erlebnisses zurück, welches als solches rätselhaft und vieldeutig bleibt.

Kritische Beobachter

Das künstlerische Ereignis von Xenia Hausners Auseinandersetzung mit dem biblischen Thema wird noch dadurch überhöht, weil sie es ins Medium Glas überträgt, das für die Virtuosin des farbsatten Pinselstrichs Neuland bedeutet. Und unter den überwiegend zünftigen Spezialisten der Glasmalerei ist der Auftritt eines Quereinsteigers stets ein kritisch beäugter Vorgang. Gerhard Richter, Neo Rauch, Sigmar Polke, Imi Knoebel haben regelrecht Schlagzeilen gemacht mit Entwürfen für Glasfenster, wie auch Markus Lüpertz. Dieser Malerfürst alten Schlages interessiert sich auch für eine Dorfkirche der Region - Gütz bei Landsberg -, für die er Glasfenster entwerfen und sie sogar beim dortigen "Lutherwegfest" am 7. Juli persönlich vorstellen will. Xenia Hausners "Kreuzigungs"-Fenster sind für Gehrden schon "passend" gemacht, nur über ihre tatsächliche Verwendung am Ort ist noch zu entscheiden. Die Gemeinde zeigt sich einhellig begeistert. Das Interesse von Anhängern der Künstlerin wäre dem Flecken ebenso gewiss wie das der Kunstwelt allgemein. Entsprechend dürften Stifterappelle Gehör finden, über die die Gemeinde nachdenkt.

Aber auch wenn derzeit noch niemand zur "Gehrdener Kreuzigung" pilgern kann, sind Xenia Hausners Glasfenster schon jetzt eine außergewöhnliche Nachricht für die Region. Denn sie sind ja fertiggestellt, als Exponat der Ausstellung "Zeitgenössische Glasmalerei in Deutschland" am denkwürdig traditionsreichen Ort Chartres.

Künstler aus Mitteldeutschland, darunter auch mit Wurzeln an der "Burg" wie Christiane Schwarze Kalkoff, Thomas Kuzio und Günter Grohs, sind gut vertreten, acht Projekte sind wie das von Hausner mit Kirchen der Region verbunden. Diese Quote hat auch mit Holger Brülls zu tun, der als Ko-Kurator und Katalogautor seine Arbeit am halleschen Landesamt für Denkmalpflege noch einmal einen großen Schritt zu breiter öffentlicher Wahrnehmung voranbringt. Seine Aufmerksamkeit wurde auf Xenia Hausner gelenkt, weil sie mit ihrem ersten Glasprojekt überhaupt, einem Entwurf für die Kilianskirche in Heilbronn, hohe Wellen schlug. Derzeit ist nicht abzusehen, ob ihr Heilbronner Zyklus je umgesetzt wird, doch wer wirklich wissen will, was künstlerisch auf dem Spiel steht, sollte nach Chartres zu ihren Fenstern reisen. Sie zeigen, anders als nur auf Papier gemalte Entwürfe, mit welch visuell erregender Wirkung ihre eminent "malerische" Handschrift in die Glaskunst zu übersetzen ist.

Fast unheimliche Wirkung

In Zusammenarbeit mit den Derix-Glasstudios im hessischen Taunusstein - einem von einer Handvoll anerkannter Spezialisten - gelingt es ihr, die pastosen Haarschöpfe, deftigen Fleischtöne und schwellenden Hautpartien in ein Flickwerk von Glasscherben und die Verästelung haarfeiner Passfugen zu übersetzen. "Es wirkt wie ein Mosaikteppich", sagt Brülls. "Fast unheimlich" nennt er die Wirkung der Bleistege, die anders als in traditioneller Glasmalerei rechtwinklig starr ins Bild schneiden, als Andeutung von einem Fadenkreuz, die das Thema dann doch noch wörtlich nimmt.