Kinostart 22. November Kinostart 22. November: «Der Aufsteiger»

Berlin/dapd. - Der Film, der mit drei Césars die höchsten französischen Filmpreise einheimste, zeichnet ein pessimistisches Porträt der Politikerkaste. Zugleich wirft er mit seiner quasi dokumentarischen Machart ein Schlaglicht auf aktuelle Herausforderungen auch anderer EU-Staaten.
Der Film beginnt mit einem Albtraum, in dem eine nackte Frau in den goldverzierten Büros des Verkehrsministeriums in einen Krokodilrachen kriecht. Ein Telefonanruf weckt den Minister und führt ihn in einen realen Albtraum: einen Busunfall in den verschneiten Ardennen, bei dem viele Kinder starben. Saint-Jean hat keine Zeit für sein Entsetzen und bespricht mit PR-Beraterin Pauline seine Ansprache an die Angehörigen. Dann setzt er sich in die Nesseln, als er in einem Interview zu den Privatisierungen von Bahnhöfen befragt wird. Saint-Jean schließt dies kategorisch aus und gerät in Widerspruch zu einem Parteikollegen.
Hinterzimmer-Kabalen um die Privatisierung
Vordergründig beleuchtet die Handlung das Tauziehen um die Bahnhofprivatisierung, die der Präsident, mit Saint-Jean als Verantwortlichem, gegen den Widerstand der Gewerkschaften durchsetzen will. In zahllosen informellen Treffen wird um Posten geschachert, in Hinterzimmern werden Strippen gezogen, Freundschaften und Überzeugungen geopfert, und tätliche Angriffe auf Demos hingenommen, um weiter im großen Spiel mitmischen zu dürfen. Politik, so zeigt dieser Film, funktioniert wie Mikado. Doch es geht um mehr: Regisseur Pierre Schoeller porträtiert die Politikerkaste als eine Parallelwelt, die sich weitgehend um sich selbst dreht.
Er gab seinem Ensemble die Anweisung, dass es wie in einem Mafiafilm spielen solle. Das Pokerface der Akteure, ihr Getriebensein und ihre Kabalen erinnern tatsächlich an eine verschworene Bande. Hinzu kommt eine französische Besonderheit; Politiker entstammen meist der Eliteschmiede ENA und haben untereinander beste Beziehungen. Dem Instinktmensch Saint-Jean, der Kette raucht, Tabletten einwirft, und sich vor Stress erbricht, fehlt dagegen der ENA-Stallgeruch. Vielleicht hat er deshalb Anflüge von Melancholie und findet mittels pathetischer Sentenzen Distanz zu seinem Tagewerk. Seinen Abscheu vor sich selbst gesteht er nur seiner Frau.
Der Verkehrsminister und sein Chauffeur
Olivier Gourmet verkörpert einen nicht unsympathischen Typ, der, mit einer Spur von Wahnsinn, ebenso Getriebener wie Antreiber ist - und buchstäblich über Leichen geht, um weiterzukommen. „400 Kontakte auf dem Mobiltelefon, aber keinen einzigen Freund“, so sinniert er über sein Privatleben. Mit seinem neuen Chauffeur Kuypers, einem stillen Langzeitarbeitslosen, stellt ihm Schoeller einen einzigen Mann „aus dem Volk“ gegenüber. Eine faszinierend machiavellistische Figur ist auch sein verschwiegener Kabinettsleiter Gilles, gespielt von Altstar Michel Blanc.
Der düstere Einblick in das Politikerhandwerk, in dem es einen Schritt vor und einem halben zurück geht, zeigt zugleich reale Probleme auf, denen sich nicht nur Frankreich stellen muss. Mit der Bahnreform greift Schoeller zwar ein besonders heißes Eisen an, denn in Frankreich ist die Staatsbahn SNCF eine heilige Kuh. Doch mit einschneidenden Strukturreformen, über die nicht mehr allein die Regierungen entscheiden, sondern die von der EU diktiert werden, beleuchtet der Film eine gesamteuropäische Zwickmühle. Als ein zwischen unpopulären Reformen und dem Wunsch nach Wiederwahl gefangener Homo politicus ist Saint-Jean ein Symbol für die Krise der EU.
(„Der Aufsteiger“, Frankreich/Belgien 2011, 115 Minuten, FSK: 12, Verleih: Kool, Regie: Pierre Schoeller, Darsteller: Olivier Gourmet, Michel Blanc, Zabou Breitman, Laurent Stocker u.a.)
Kinostart: 22. November 2012