Kinofilm «Gefahr und Begierde» Kinofilm «Gefahr und Begierde»: Erotik im Shanghai der 40er Jahre

San Francisco/dpa. - Der Titel hält, was er verspricht: «Gefahr und Begierde» heißt der neue Film von Oscar-Preisträger Ang Lee, der das Spionage-Drama aus dem besetzten China im Zweiten Weltkriegselbst als «erotischen Thriller» beschreibt. Mit «Brokeback Mountain» zauberte er vor zwei Jahren die zarte, verbotene Liebe zweier Cowboys auf die Leinwand.
Jetzt geht der gebürtige Taiwanese, der seit den 70er Jahren in den USA lebt, mit unverblümten Sex-Szenen zur Sache. «Hatten die Schauspieler wirklich vor laufender Kamera Sex?», wurdeLee kurz vor dem Kinostart von Journalisten in San Francisco gefragt. «Das ist wirklich schwer zu beantworten», gab er charmant lächelnd zurück. «Haben Sie den Film gesehen? Warum fragen Sie dann!»
Für «Brokeback Mountain» hatte Lee auf die 50 Seiten schmaleKurzgeschichte der amerikanischen Schriftstellerin Annie Proulxzurückgegriffen. Das mehr als zweieinhalb Stunden lange Spionage-Drama «Gefahr und Begierde» entlockte er einer nur 26-seitigen Kurzgeschichte der chinesischen Autorin Eileen Chang, die oft über Liebe, Besessenheit und Machtspiele zwischen Mann und Frau schrieb.
Lee führt die Zuschauer in das exotisch-mondäne Shanghai undHongkong der 40er Jahre zur Zeit der japanischen Besatzung. Die junge Studentin Wang Jiazhi trifft auf eine Theatergruppe, die sich der Widerstandsbewegung anschließt und die schöne Schauspielerin als Lockvogel für eine gefährliche Mission trainiert. Sie soll den skrupellosen Beamten Yi, einen Kollaborateur der japanischen Besatzer, verführen und ihm dann eine tödliche Falle stellen. Das gefährliche Spiel wird zu einer leidenschaftlichen Affäre, die beideProtagonisten aus der Reserve lockt und wahre Gefühle weckt.
«Ich sehe mich eigentlich nicht als politischen Filmemacher, aberPolitik hat so einen entscheidendenden Einfluss auf unser Leben, dassman sich davon einfach nicht distanzieren kann, genauso wenig wie manSex aus dem Weg gehen kann», meint Lee über den heißen «Kalten Krieg»seiner beiden Hauptdarsteller. Tony Leung, einer der gefragtestenStars des Hongkong-Kinos, spielt mit melancholisch-verschlossenerMiene. Seine «Mata Hari» ist die 28 Jahre alten Newcomerin Tang Wei,die vor dem Schauspielstudium bei Schönheitswettbewerben Furoremachte. Ihr wilder Sex mit akrobatisch verschlungenen Leibernerinnert an die bahnbrechenden Liebesszenen von Marlon Brando undMaria Schneider in Bernardo Bertoluccis «Der letzte Tango in Paris».
Nur vor den Augen von Lee, Kamermann Rodrigo Prieto und zweiAssistenten ließen Wei und Leung Hüllen und Hemmungen fallen. Als«Elf Tage in der Hölle» beschrieb ein Mitarbeiter das Filmen der dreielementaren Liebesszenen. «Am Anfang war ich etwas scheu», gestehtTang Wei in gebrochenem Englisch. «Aber das Team war soprofessionell, dass ich mir immer wieder gesagt habe, ich muss dasschaffen. Ich glaube fest an Ang Lee und bin ihm einfach gefolgt.»Was der Kritiker von «Rolling Stone» als «höchst erotisch undspannend» lobt, wird von der «New York Times» als Lees «neuentdeckter Flirt mit abnormalem Sex» zerrissen.
Gespalten waren auch die Reaktionen im September in Venedig, alsLee für «Gefahr und Begierde» überraschend mit dem Goldenen Löwengeehrt wurde. Zwei Jahre zuvor gab es noch einhelligen Applaus, alser mit «Brokeback Mountain» die Trophäe gewann. Keine Gnade fand Leebei der amerikanischen Behörde, die über die Altersfreigabe vonFilmen entscheidet: NC-17, der härteste Stempel. Niemand unter 17Jahren darf den Film sehen. «Bei den Dreharbeiten habe ich keinenMoment daran gedacht, vorsichtiger zu sein. Ich wollte einfach meinBestes geben und mich nicht mit diesem Kram belasten», versichert der52 Jahre alte Wahl-Amerikaner. Nach so unterschiedlichen Filmen wie«Das Hochzeitsbankett», «Sinn und Sinnlichkeit», «Der Eissturm»,«Tiger & Dragon», der Comicverfilmung «Hulk» und «Brokeback Mountain»hat sich Lee erneut als einer der wandlungsfähigsten undwagemutigsten Regisseure Hollywoods erwiesen.