1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Katja Ebstein auf Tour: Katja Ebstein auf Tour: So denkt die Sängerin über Chemnitz und die Pegida-Demos

Katja Ebstein auf Tour Katja Ebstein auf Tour: So denkt die Sängerin über Chemnitz und die Pegida-Demos

Von Mathias Schulze 19.09.2018, 06:00
Katja Ebstein: „Wäre ich in den USA aufgewachsen, wäre ich mit Joan Baez durch die Lande gezogen.“
Katja Ebstein: „Wäre ich in den USA aufgewachsen, wäre ich mit Joan Baez durch die Lande gezogen.“ dpa

leipzig/berlin - Gestern, heute, morgen. So heißt eines der aktuellen Programme von Katja Ebstein, Jahrgang 1945, das sie nun nach Leipzig führen wird.

In diesem Titel schwingt nicht nur der Wandel der Zeit mit, sondern auch eine gehörige Portion Beständigkeit. Mögen sich die Moden ändern, der bevorzugte künstlerische Zugang zur Welt war für die Berlinerin immer derselbe. Und er ist heute so klar und präzise wie nie zuvor. Wurden von der Sängerin gestern noch die Wunder, die es bekanntlich immer wieder geben soll, beschworen, hat sich eine gesellschaftskritische Haltung ab Mitte der 70er Jahre immer stärker in ihrer Kunst manifestiert.

Alle, die Ebstein noch in silbernen Stiefeln und im blauen Umhang beim Eurovision Song-Contest 1970 vor Augen haben, sollten sich ein rückschauendes Zitat der Schauspielerin, Kabarettistin und Chansonnette ins Stammbuch schreiben: „Mit meinen literarischen Bühnenprogrammen, die ich seit 30 Jahren veranstalte, bin ich am stärksten bei mir und meinem Alter Ego Heinrich Heine gelandet.“

Erläuternd schiebt Ebstein mit ihrer rauchig weichen Stimme, die gerne zur Berliner Schnauze neigt, nach: „Ich sehe mich beobachtend zwischen den Stühlen, aber mit einem unbeirrbaren Kompass.“

Die Humanität als unausrottbare Richtschnur, sowohl in der Kunst als auch im Leben. Eine Ebstein gab und gibt es nicht ohne soziales Engagement. Die Studenten- und Friedensbewegung, die Welthungerhilfe und Entwicklungsprojekte in Afrika: Von seelischer Wandlung keine Spur, alles war von Anfang an da.

Schon damals, als sie in Berlin Archäologie und Romanistik studieren wollte, schon damals, als sie sich im Malen, Bildhauern oder in der journalistischen Arbeit ausprobierte. Schon damals, als sie in den 60er Jahren ohne Bühnenabsichten in der Liedermacher- und Jazz-Szene Westberlins sozialisiert wurde.

Katja Ebstein: So prägte ihre Jugend in Westberlin die Sängerin

Manchmal lassen sich Prägungen und Wünsche auch in einem scherzenden Satz ausdrücken: „Wäre ich in den USA aufgewachsen, wäre ich mit Joan Baez und Bob Dylan durch die Lande gezogen.“

Stattdessen wuchs Mitte der 70er Jahre ihre Langeweile im Popgeschäft, die Stühle, auf denen man fest und eindeutig sitzen musste, wurden zu eng. Ebstein zitiert erklärend aus Eva Strittmatters Gedicht „Risiko“: „Es gibt zwei verschiedene Haltungen / Gegenüber dem Leben / Die eine: Streben nach Sicherheit / Die andre: Sich über Schicksal und Zeit / Und alles das erheben.“

So verbindet Ebstein seit Jahren literarische Programme, beispielsweise über Brecht und Annette von Droste-Hülshoff, mit anspruchsvollen Balladen und musikalischen Ohrwürmern. „Wer in den heutigen Wohlstandsgesellschaften noch ein Gewissen hat, kann seinen Weltschmerz eigentlich kaum noch bändigen. Kunst kann dabei helfen, wachsam und engagiert zu bleiben“, sagt die Künstlerin, die auf einen wichtigen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann.

Ihr scheint es, als würde man heute den Anlass der 68er-Bewegung - eine erwünschte Entnazifizierung - vergessen haben. Es gibt Wunden, die niemals heilen, Wunden, die heute in all ihrer Aktualität wieder aufbrechen. „Ich kann diese Hetzjagden der Springer-Presse in den 70er Jahren, dieses sogenannte gesunde Volksempfinden, das mit Begriffen wie ,Politgammler‘ und ,Wirrköpfe‘ Hass säte und das Attentat auf Rudi Dutschke vorbereitete, nicht vergessen. Und heute stellen die Hans-Georg Maaßen als guten Patrioten, als Opfer dar“, erklärt eine tief empörte Ebstein.

Sie sieht sie wieder am Werk, die altbekannten Verdrängungsmechanismen, Sachsens Ministerpräsident Kretschmer sah in Chemnitz bekanntlich keinen Mob, keine Hetzjagden.

Für Ebstein ist klar, dass man die Phänomene nicht ohne einen historischen Blick verstehen kann, sie erinnert an Willy Brandt, der mit seinen Ostverträgen die Wiedervereinigung überhaupt erst einmal möglich machte. Und sie endet mit diesem Satz: „Kohl wollte damals alles abwickeln, was für den Westen vielleicht mal eine Konkurrenz bedeutet hätte. Mit der Treuhand fing das an, was wir heute auf der Straße sehen.“

Klar sei aber, dass ein rein historischer Blick die Dinge auch nicht anpacken kann, Ebstein hat konkrete Vorschläge parat. Sie glaubt, dass es nicht wenige Menschen gibt, die während gewisser Demonstrationen am liebsten folgendes Schild hochhalten würden: „Ich bin gegen Bachmann, Höcke, AfD, Identitäre und Nazis! Ich laufe hier nur mit, weil mich sonst keiner sieht.“

Die sozioökonomischen Konflikte und die Extreme, gestern wie heute, West wie Ost, Nord wie Süd. Und morgen auch noch? Ebstein stemmt sich gegen alle Spielarten der Hoffnungslosigkeit: „Sonst habe ich keinen Grund, auf der Bühne zu stehen.“

Am 21. September gastiert Katja Ebstein gemeinsam mit dem Pianisten Stefan Kling 21 Uhr im Leipziger Anker. (mz)