Karlheinz Stockhausen Karlheinz Stockhausen: Der monomanische «Papa Techno»
Halle/MZ/ahi. - Doch die Überforderung hatte der am Mittwoch in seiner Heimatstadt Kürten-Kettenberg 79-jährig Gestorbene für sich wie sein Publikum ja gewollt - schon als er sich 1977 entschloss, den siebenteiligen Opern-Zyklus "Licht" an den sieben Tagen der Woche und der Schöpfung auszurichten.
Als er diesen 29 Stunden währenden Klang-Kosmos vor zwei Jahren für abgeschlossen erklärte, hatte er bereits jeden Rahmen gesprengt. Doch noch lagen ja die 24 Stunden, die 60 Minuten und die 60 Sekunden vor ihm. Sein musikalisches Stundenbuch, das unter dem Titel "Klang" verschieden besetzte Orchesterwerke versammeln sollte, bleibt nun mit unbeschriebenen Seiten zurück. Dass allein in seinem eigenen, nur dem Stockhausen-Werk gewidmeten Verlag bislang 139 CDs erschienen sind, sagt viel über schiere Schaffenskraft - aber nichts über den Einfluss, den der Komponist auf die Musik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahm. Sein "Gesang der Jünglinge im Feuerofen" machte den von seriellen Techniken geprägten Künstler 1956 berühmt und war ein erster Meilenstein in seiner Zusammenarbeit mit dem Kölner WDR-Studio für Elektronische Musik. Später experimentierte der Avantgardist u. a. mit der Verteilung von Klangkörpern im Raum, mit der Mischung von natürlichen und elektronischen Klängen sowie mit der Übertragung von Schönbergs Zwölfton-Technik auf die Länge statt auf die Höhe der Töne.
Dass er für die Krautrock-Pioniere von Can so wegweisend war wie für Pink Floyd, dass die Beatles ihn in das Cover-Porträt ihrer "St. Pepper's Lonely Hearts Club Band" aufnahmen und die Rave-Generation ihn respektvoll "Papa Techno" taufte, sind nur wenige Belege für seinen grenzüberschreitenden Einfluss. Stockhausen wollte in einer eigentümlichen Mischung aus versponnener Esoterik und technischer Neugier tatsächlich neue Dimensionen erreichen, womit er nicht zuletzt die Oper Leipzig als Uraufführungs-Bühne von "Dienstag" (1992) und "Freitag" (1996) überforderte.
Der gesamte "Licht"-Zyklus ist bis heute eine Fehlstelle, mit seiner Beschreibung der Anschläge vom 11. September 2001 als "größtes Kunstwerk Luzifers" verspielte der monomanische Stockhausen zuletzt jeden öffentlichen Kredit. Den sollte er posthum zurückgewinnen - seine Musik wird bleiben.