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Kaliningrad Kaliningrad: Dombaumeister bringt Kant hinter Schloss und Riegel

16.03.2006, 08:15
Undatiertes Foto zeigt ein russisches Brautpaar, das am Grab des Philosophen Immanuel Kant am alten Königsberger Dom einen Blumenstrauss niederlegt. (Foto: dpa)
Undatiertes Foto zeigt ein russisches Brautpaar, das am Grab des Philosophen Immanuel Kant am alten Königsberger Dom einen Blumenstrauss niederlegt. (Foto: dpa) dpa

Kaliningrad/dpa. - Auf dem Grab von Immanuel Kant (1724-1804) amalten Königsberger Dom liegen fast immer frische Blumen, sogar imWinter. Jungvermählte, so ist es Brauch im heute russischenKaliningrad, erweisen nach dem Standesamt als erstes dem deutschen Philosophen die Ehre. Selbst im Schneegestöber pilgern die Brautpaarezu Kant auf die Dominsel, genauso wie Schulklassen, Studenten,Touristen, oft hunderte pro Tag. Doch seit kurzem stehen sie vorverschlossener Tür. Die Pforte zur Säulenhalle an der Dom-Nordwandist mit einem klobigen Vorhängeschloss verriegelt. An das Grab, einenstilisierten Sarkophag aus rotem Granit, kommt niemand mehr heran.

Viele Kaliningrader sind aufgebracht. Kants «Kritik derpraktischen Vernunft», sein kategorischer Imperativ und das Traktat«Zum ewigen Frieden» mögen den wenigsten etwas sagen. Doch derdeutsche Denker ist in Kaliningrad so etwas wie ein guter Geist derStadt, verehrt als Symbol des alten Königsberg. Die Universität trägtseit einem Jahr seinen Namen, Gedenktafeln und ein Denkmal erinnernan ihn. Die Tradition Jungverheirateter, Blumen zu Kants Grab zubringen wie andernorts in Russland zum Lenin-Denkmal, hat in derStadt am Pregel eine jahrzehntelange Geschichte. Angeblich geht siedarauf zurück, dass der berühmte Philosoph sein Leben langunglücklich in eine Frau verliebt war und doch nie heiratete.

Darum hat die verschlossene Grabhalle einen bizarren Streit vomZaun gebrochen, der jetzt sogar die ehrwürdige Kant-GesellschaftRusslands erfasste. «Ich protestiere entschieden gegen diesenVersuch, einen Riegel zwischen den großen Kant und und seine vielenVerehrer zu schieben», wettert Leonard Kalinnikow, Vorsitzender derGesellschaft der russischen Kantianer. Der Philosophie-Professor istaußer sich. Die Vorstellung, Blumen für den Philosophen nun entwedervor dem Eisengitter abzulegen oder darüber hinweg auf das Grab zuwerfen, ist für ihn abscheulich. «Das ist dieser Stätte unwürdig.»

Igor Odinzow lässt das Schimpfen des Professors kalt. AlsGeneraldirektor der für den Wiederaufbau des Doms zuständigen Firmahat er das Kant-Grab wegschließen lassen, und er hat nicht vor, daszu ändern. «Die Besucher bringen nicht nur Blumen, sondern auchAbfall, Hochzeitsgesellschaften lassen Sektflaschen auf dem Grabstehen, es gab schon mehrfach Vandalismus. Dagegen tun die HerrenPhilosophen nichts, das halten wir in Ordnung.» Darum habe er denZugang zur Säulenhalle verschlossen und werde ihn nur zu besonderenAnlässen öffnen lassen, sagt Odinzow.

Er ist dafür bekannt in Kaliningrad, den mittelalterlichen Dom wiesein Privatgelände zu behandeln. Wer an seinem Wiederaufbau-Projektöffentlich Kritik übt, ihm Pfusch und denkmalpflegerischen Unverstandvorwirft, den belegt Dombaumeister Odinzow schon mal mit Haus-respektive Domverbot. Auch das an den Dom angebaute Kant-Grab gehörtfür ihn zu seinem Revier. Für Kalinnikow aber nicht. «Dieser Ort istein Denkmal der Geistesgeschichte und gehört allen Menschen», sagteer in einem Interview mit der Zeitung «Königsberger Express».

Es ist nicht das erste Mal, dass Odinzow mit den Kantianernaneinander gerät. Schon das Kant-Museum im Turm des Doms stieß aufderen Ablehnung. Ein konzeptloses Sammelsurium sei das, sagt WadimKurpakow, Leiter der Forschungsbibliothek Albertina der Universität.

Doch der resolute Dombaumeister hat Einfluss in Kaliningrad. Alser Anfang der 90er Jahre begann, sich um den Wiederaufbau derkriegszerstörten Backsteinruine zu kümmern, kämpfte er noch gegenWiderstand von allen Seiten. Heute gilt der restaurierte Dom alsSymbol der westlichsten russischen Stadt und wird von allenoffiziellen Gästen besucht. Odinzow ist Hausherr auf der Dominsel.Und das lässt er jeden, der daran zweifelt, deutlich spüren.

Am 22. April hat Immanuel Kant Geburtstag. Da bringen besondersviele Verehrer Blumen an das Grab. In diesem Jahr werden sie ihreSträuße wohl über das Gitter werfen müssen.