Kabarettist Kabarettist: «Heimat ist der Ort, wo man seine Freunde hat»

Halle/MZ. - Herr Hildebrandt, Sie sind mit 16 Jahren als Luftwaffenhelfer in den Krieg geschickt worden - und mussten damit quasi zwangsweise erwachsen werden.
Hildebrandt: So ist es eben gewesen, wenn man dem Jahrgang 1927 angehörte. Es war ein etwas unglücklicher Jahrgang, wir waren eingebettet zwischen Kindheit, Jugend und Krieg. Da hat man seine Zeit in Uniform verbracht, obwohl man sich in diesem Alter doch verlieben und vor den Mädchen brüsten möchte. Aber da war nichts.
Keine Zeit für Liebe?
Hildebrandt: Nein.
Können Sie sich an das letzte Kriegsweihnachten erinnern?
Hildebrandt: Das Fest im Jahr 1944 gehört wohl zu meinen erbärmlichsten Weihnachten. Ich hatte meine Rekrutenausbildung in Lauban hinter mir und war in der Kaserne in Görlitz stationiert. Dorthin war ich zu einer Reserveoffiziers-Ausbildung gekommen und wurde so richtig geschliffen. Wir waren gerade 17 Jahre alt, hatten Soldat gelernt und sollten nun Leutnants werden. Mit siebzehn!
Wie haben Sie das empfunden - der Krieg war doch verloren?
Hildebrandt: Hoffentlich kommen wir gut durch, haben wir gedacht. Einmal, als ich sehr sehr krank wurde und mit hohem Fieber im Lazarett lag, hörte ich, dass die Russen immer näher kämen. Ich dachte: Wenn sie nur bald da sind. Wir waren ja verzweifelt und wussten, es gibt keine Chance mehr.
Und wie haben Sie Weihnachten in der Kaserne erlebt?
Hildebrandt: Meine Mutter hat mich in Görlitz besuchen und mir einen Kuchen bringen wollen. Bunzlau, woher ich komme, ist ja nicht sehr weit entfernt, etwa 45 Kilometer. Aber sie ist nicht hinein gelassen worden in die Kaserne. Man hat mir nur gesagt, dass sie da gewesen sei. Den Kuchen habe ich bekommen, aber meine Mutter durfte ich nicht sehen. Und dann habe ich sie erst ein Jahr später wiedergefunden.
Die Ausbildung ging natürlich weiter, von Weihnachten keine Spur. Und am Heiligen Abend? Ich weiß es nicht mehr. Wir sind wohl einfach schlafen gegangen.
Haben Sie die Ausbildung in Görlitz noch beendet?
Hildebrandt: Ja. Aber dann kam dieser Hitler-Befehl: Wir sollten nach Sachsen, in die Leipziger Gegend marschieren und als Offiziersreserve für den Endsieg aufgehoben werden. Ich wurde in Eilenburg stationiert. Dann kam Hitler auf die Idee, die so genannte Armee Wenck, von der jetzt so viel die Rede ist, aufzustellen. Die sollte ihn aus dem eingeschlossenen Berlin herausholen, was dieser General Wenck in Wirklichkeit aber gar nicht vorhatte. Er wollte der eingeschlossenen Armee helfen und versuchen, bei Beelitz und Potsdam eine Bresche in die russische Front zu schlagen. Das ist ihm auch gelungen, mit den letzten Panzern, die noch da waren.
Und was geschah mit Ihnen?
Hildebrandt: Wir sind danach flugs umgekehrt und bei Tangermünde über die Elbe zu den Amerikanern gegangen. In Hannover sind wir entlassen worden. Das war mein Frühjahr 1945.
In letzter Zeit ist eine politische Debatte über Heimat aufgekommen. Heimat ist in aller Munde.
Hildebrandt: Sie meinen das Thema Heimat, Heimatliebe, Patriotismus?
Ja.
Hildebrandt: Das ist in Wirklichkeit ein ganz jämmerlicher Versuch, von der Politik abzulenken. Die CDU ist auf keine Idee gekommen, was sie machen könnte und Frau Merkel ist das Allheilmittel eingefallen, den Sozialdemokraten wieder mal vorzuwerfen, was man schon unter Adenauer gehört hat: Sie seien vaterlandslose Gesellen. Es ist ein wenig lächerlich. Im Übrigen hat dieser Patriotismus für uns, für meine Generation, keine Bedeutung. Wie das bei der Jugend ist, weiß ich freilich nicht.
Und was bedeutet für Sie Heimat?
Hildebrandt: Heimat ist nichts anderes als der Ort, wo man seine Freunde hat. Und in meiner Heimatstadt Bunzlau lebt doch kein Mensch mehr, der mit mir auch nur einen Satz reden kann. Polen leben jetzt dort, die wiederum ihre Heimat auch woanders haben, die aus Ostpolen gekommen sind.
Meine Heimat ist in München, in Berlin und Köln, wo mein Freundeskreis lebt. Und natürlich ist meine Heimat dieses Deutschland. Selbstverständlich. Wenn es sein müsste, würde ich auch nach Görlitz ziehen. Dort steht ja alles leer.
Eine wunderschöne Stadt...
Hildebrandt: Die wunderschönste Stadt der Welt.
Die nicht einmal die Ostdeutschen kennen.
Hildebrandt: Leider. (lacht) Ich kenne sie genau: Wie ich schon sagte, vom Militär. Aber vielleicht kommen jetzt, mit der Ost-Erweiterung der Europäischen Union, ein paar neue Verbindungen zustande.
Damals, nach Ihrer Entlassung, führte kein Weg nach Hause zurück. War das nicht schmerzhaft?
Hildebrandt: Überhaupt nicht. Wir waren alle guter Stimmung. Es heißt doch jetzt immer, man befände sich in der Talsohle. Wenn man sich aber dort befindet, kann es nur noch aufwärts gehen. Wir hatten gar nichts: keine Häuser, nichts zu essen. Wir wussten nicht, wohin. Aber wir wussten, irgendwie würde es weitergehen: besser.
Das hieß für Sie?
Hildebrandt: Ich wurde Kellner bei der englischen Armee, für ein halbes Jahr. Dann habe ich versucht, meine Eltern zu finden. Und das ist mir auch innerhalb von 14 Tagen gelungen.
Wie?
Hildebrandt: Das war das Ergebnis eines längeren Nachdenkens. Ich wusste allerdings nicht, ob sie überhaupt den Bauernhof verlassen hatten. Aber ich war mir sicher, dass meine Mutter versucht haben würde, meinen Vater zu überreden, fortzugehen. Und es ist in der Tat genau so gewesen. Ich kannte meine Eltern und wusste, wie sie handeln würden. So brauchte ich nur noch dem Gedankengang meines Vaters zu folgen.
Und wo waren die Eltern?
Hildebrandt: In der Oberpfalz. Einfach deshalb, weil Bayern dem Zuhause in Schlesien am nächsten war. Nur das Sudetenland, wie wir damals sagten, also Böhmen und Mähren, lag dazwischen.
Für Sie ist Heimat tatsächlich nicht an bestimmte Orte oder Landschaften gebunden?
Hildebrandt: Nein. Aber es gibt natürlich Vorlieben. Ich habe einmal mit Klaus Staeck darüber gesprochen. Er kommt ja aus Bitterfeld. Ich sagte ihm, weißgott, ich möchte meine Heimatstadt nicht gegen deine tauschen. Da hat er mir erklärt, wie schön er Bitterfeld fand. Er kannte natürlich die schönen Ecken. Ich nicht.
Reden wir noch ein Wort über Patriotismus: Kann es nicht sein, dass das Thema in Zeiten, da nichts bleibt wie es war, auch aus Verunsicherung genährt wird?
Hildebrandt: Dieses Thema ist politisch nicht ganz seriös insofern, als dass man damit kokettiert, den rechten Flügel etwas aufzuweichen und zu verhindern, dass die Rechten eigene Ränder bilden. Mit Heimat verbindet sich auch der Heimatschutz - und die Ausländerfrage. Damit kann man gewisse Volksgruppen schon locken. Und das halte ich für gefährlich.
Tatsächlich scheint es bei uns aber mehr Angst als Freude über das größere Europa zu geben.
Hildebrandt: Es ist natürlich so, dass diese so genannte Globalisierung einen erhöhten Konkurrenzdruck auf uns niedergehen lässt. Wir haben keine sicheren Jobs mehr, keine sichere Zukunft.
Wir können darauf rechnen, amerikanische Verhältnisse zu bekommen: Das heißt, wer den größeren Eifer, die größere Durchsetzungskraft hat, die bis zu eisenbewehrten Ellbogen reichen kann, der wird gewinnen. Davor haben natürlich viele Menschen Angst.
Und sie selber?
Hildebrandt: Ich bekomme natürlich auch ein bisschen Angst, wenn ich sehe, wie leichtfertig man mit dem Schutz der arbeitenden Menschen umgeht, wie man glaubt, ohne Gewerkschaften auskommen zu können. Was man in 100 Jahren erarbeitet hat, der Schutz der Schwachen, fällt nun vollkommen aus dem Gesichtsfeld heraus.
Den Rest gibt uns Brüssel?
Hildebrandt: Die Furcht vor Bürokratisierung verstehe ich natürlich auch. Was schreibt man uns nicht alles vor? Wie lang Kämme zu sein haben, wie groß Gurken. Wonach Tomaten schmecken müssen.
Beamte sind eine Plage, in allen Ländern. Aber auf dieser Bananenschale sollte man politisch nicht ausrutschen. Das Grundthema ist, wie schaffen wir es, gegen die Wirtschaftsmächte China und Amerika zu bestehen. Deshalb haben wir ja dieses Europa gegründet. Aber die Folge wird sein, dass Heimat sich verändert. Ein paar Kissen im Sofa werden fehlen.
Die Freude über die Wiedervereinigung ist rasch abgekühlt. Damals sagten alle, der Osten wird bald wie der Westen aussehen. Nun sagen Spötter, vielleicht kommt es ja umgekehrt?
Hildebrandt: (lacht) Der Gedanke liegt nahe.
Und das macht keine gute Laune.
Hildebrandt: Das ist richtig. Wir sind ein bisschen mürrisch und hinken ein wenig hinterher. Man kann uns Deutsche auf der Straße ganz gut von anderen unterscheiden. Aber das wird auch stark übertrieben, zum Beispiel von den Industrieverbänden, die gut gelaunte, aber abhängige Arbeiter brauchen. Die Verbände rächen sich jetzt ein bisschen für die Zeiten, als es eine Vollbeschäftigung gab - und der, der einen Arbeitsplatz hatte, ihn wie ein Fürst verwaltet und sich teuer verkauft hat.
Jetzt sagen die Arbeitgeber, wir lassen das Ganze eben zum Beispiel in Polen herstellen. Ein Arbeiter in Gleiwitz, las ich, bekommt 700 Euro für die gleiche Arbeit, für die sein Kollege in Bochum 2 400 Euro erhält. Wenn die Schere so weit auseinander geht, wird es irgendwann knallen. Ich glaube also, dass sich das ausgleichen muss.