Kabarett Kabarett: Leipziger academixer feiern ihr 40-jähriges Bestehen

Leipzig/dpa. - Gegründet von Gunter Böhnke, Bernd-Lutz Lange, Christian Becher und dem 2002 gestorbenen Jürgen Hart («Sing, mei Sachse, sing!») ist das einstige Laientheater heute auch in Westdeutschland geschätzt. Bisher kamen rund eine Million Zuschauer zu den gut 70 Programmen, sagt Geschäftsführer Klaus Kitzing.
Nach zahllosen ausverkauften Vorstellung ihrer Nummernrevue«Gefeiert wird später» mit Beiträgen aus vier Jahrzehnten laden dieacademixer kommenden Sonntag zur Party mit Kollegen aus Ost und West,Lesungen und Ausstellungen in die Moritzbastei Leipzig. DieMessestadt gilt auf Grund der Vielzahl an Brettlbühnen als deutscheKabaretthauptstadt; die bekanntesten sind die Leipziger Pfeffermühle,die Funzel und SanftWut.
Vor dem ersten Auftritt der academixer hatten die Mitgliederbereits beim Unikabarett Rat der Spötter erste Bühnenerfahrunggesammelt, sagt der seit 2001 amtierende künstlerische Leiter Becher.Damals feierte auch der heutige hallesche «Tatort»-Kommissar PeterSodann sein Brettl-Debüt. «Das hat Aufsehen erregt, auch beimKlassenfeind», erinnert sich Becher. Selbst nach mehr als vierJahrzehnten ist ihm das Programm «Ach, du meine Messe» in Erinnerunggeblieben, das von der SED-Bezirksleitung wegen seinesstaatsfeindlichen Inhalts bald verboten wurde. «Ich hatte mir damalsvorgenommen, nie wieder Kabarett zu machen.»
Kurze Zeit später stand der Diplom-Wirtschaftler erneut vor demPublikum. «Kein X für U» hieß das erste academixer-Programm, daseinen bis heute währenden Klassiker enthält. In einer Persiflage aufDichterfürst Johann Wolfgang von Goethes «Erlkönig» stellten diejungen Kabarettisten den Konflikt zwischen Theorie und Praxis dar.
«Das Publikum war trainiert zwischen den Zeilen zu lesen», soLange. Weil sich niemand über die DDR-Staatsratsvorsitzenden WalterUlbricht und später Erich Honecker sowie die deutsch-deutsche Mauerdirekt mokieren konnte, diente mitunter auch die Antike alshumoristische Kulisse. «Doch jeder hat sofort gewusst, dass dasPolitbüro gemeint ist.» Den academixern bescherte die in rhetorischeFragen und metaphernreichen Witz gepackte Regimekritik volle Säle undbald Auszeichnungen über Auszeichnungen.
«Nach jeder Vorstellung hatte man das Gefühl, wieder 250 neueVerbündete zu haben», erzählt Böhnke. Jürgen Hart, dessen Frau Katrinnoch heute zum Ensemble zählt, wurde rasch zum führenden Kopf. «Erwar ein, und das meine ich anerkennend, geniales Schwein», sagtBecher. Oft habe er die Parteifunktionäre bei der Abnahme neuer Texteüberlistet. Es war ein Rennen zwischen Hase und Igel.
In den 1980ern drückten die Funktionäre immer häufiger ein Augezu. «Es gab gewisse Aufweichungserscheinungen bei der Abnahme neuerTexte, denn einige Genossen waren bereits auf Gorbatschowkurs», sagtLange. Nur eine Adaption des Udo-Lindenberg-Hits «Hinterm Horizontgeht's weiter» fiel der Zensur zum Opfer. Das sei dann doch zuoffensichtlich gewesen.
Und wie erlebte Leipzigs politisches Kabarett den Mauerfall? Anjenem 9. November wurde im academixer-Keller vor Publikum dasKommunismusprogramm «Wir stehen uns noch bevor» vor Publikum für dasDDR-Fernsehen aufgezeichnet, sagt Böhnke. Als die Lichter im Saalausgingen, erfuhren die Darsteller vom nahenden Ende des Staates. Unddoch änderte sich erst einmal ein paar Tage nichts, es wurde weitergespielt. Die Zuschauer kamen und erhofften sich Antworten.