Jürgen Böttcher Jürgen Böttcher: Der Mann, der aus Strahwalde kam
Halle (Saale)/MZ. - Zur Kunst kam Jürgen Böttcher, der in den 30er Jahren als Lehrersohn im Oberlausitzer Flecken Strahwalde aufwuchs, wie zum Sozialismus - über die Gräuel des Zweiten Weltkrieges. Sein älterer Bruder wird - aus Versehen - 1944 von den eigenen Volkssturm-Leuten erschossen. Der Hitlerjunge Jürgen Böttcher vergräbt die Leichen, mit denen das Land um Strahwalde übersät war. Er sieht das ausgebrannte Dresden und tritt mit 17 in die KPD ein. Seine ersten Zeichnungen fertigt der Junge nach Fotos der Strahwalder Gefallenen.
Eine der eigenwilligsten ostdeutschen Künstlerbiografien beginnt, in der es Verbote, Aussperrungen, aber auch Auszeichnungen wie unter Wechselstrom setzt. Nach dem Studium der Malerei von 1949 bis 1953 in Dresden leitet Böttcher, der als Künstler dem "Formalismus"-Verdikt zum Opfer fällt, über drei Jahre einen inzwischen legendären Zeichenzirkel der Volkshochschule: Zu seinen Schülern gehört Ralph Winckler, der als A. R. Penck im Westen zu Weltruhm gelangen sollte. Der als "Gangstermaler" verschriene Böttcher aber weicht, weil er in Kunst-Dingen keine Kompromisse eingehen will, auf ein Studium der Filmregie in Potsdam aus. Ein "fast sentimentales Interesse für Menschen, die in Tag- und Nachtschichten schwere körperliche Arbeit leisten müssen", habe Böttcher nach Aussage seines Freundes Wolf Biermann auf diesen Nebenweg gebracht, der eine "Hauptstraße" werden sollte.
In der Zwei-Häusigkeit findet Böttcher-Strawalde fortan seine Balance: als festangestellter Regisseur des Defa-Dokumentarfilmstudios und als freier Maler, als DDR-Bejaher und -Dissident, aber eben nie als letztgültiger Oppositioneller. Rund 40 Dokumentarfilme entstehen, darunter auch propagandistische Ware wie "Wir waren in Karl-Marx-Stadt" oder "Dialog mit Lenin". Filme, die Böttcher nach eigener Auskunft als Preis seines beruflichen Überlebens leistete. Sein Spielfilmdebüt "Jahrgang 45" über ein unangepasstes junges Paar im Ostberlin der 1960er Jahre war 1965 verboten worden. Hierzulande war Böttcher als Filmer 2003 in Wolfen zu erleben, wo er seinen 1974 gedrehten Streifen über die Bitterfelder "Brigade Mamai" (Slogan: Sozialistisch arbeiten, lernen und leben) vorstellte. Ein Film, den er als Strafe absolviert hätte, wie Böttcher damals sagte. Zum Glück: Der Ideologie-Firnis ist hauchdünn, die Alltags-Substanz stark. Man sieht die Arbeit im Alu-Werk, die Arbeiter am Tisch, das Leben in der Stadt - und man hört, ja sieht die Stille, die über allem liegt. Filme seien ja für ihn nicht einfach nur Filme, sondern Teile seines eigenes Lebensromans, sagte Böttcher. "In einer Zeit der Finsternis und der Verwirrung warst Du ein Licht", schrieb der Künstler Penck Jahre nach seiner Ausreise an seinen im Osten verbliebenen Lehrer Strawalde. Und: "Nun bist Du ein Klassiker und modern." Dessen von der Renaissance und Picasso inspirierte Bilderwelten, die naiv episch die Dinge sprechen lassen wollen, waren nach 1989 an vielen Orten zu sehen. Der in Berlin-Karlshorst lebende Künstler ist das öffentlich immer seltener. Am Freitag wird Jürgen Böttcher 80 Jahre alt.
"Strawalde zum 80. Malerei, Arbeiten auf Papier": Galerie Born auf dem Darß, Südstraße 22, 9. Juli bis 28. August.