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Jubiläum Jubiläum: Leben «durch die Kunst» mit Sex- und Drogenexzessen

Von Antje Lorscheider und Frank Christiansen 08.06.2005, 12:23
Der Maler Jörg Immendorff in der fiftyfifty-Galerie in Düsseldorf (Foto: dpa)
Der Maler Jörg Immendorff in der fiftyfifty-Galerie in Düsseldorf (Foto: dpa) dpa

Düsseldorf/dpa. - Er ist einer der herausragenden deutschen Malerder Gegenwart, aber seine Bilder spielten in letzter Zeit nur eineuntergeordnete Rolle. Mit Sex- und Drogenexzessen sorgte JörgImmendorff für Furore - dann wurde bekannt, dass er an einertödlichen und unheilbaren Nervenkrankheit leidet. Teilweise gelähmt,hat er dennoch nicht aufgehört zu malen. «Ich lebe durch die Kunst»,sagte Immendorff vor einigen Monaten, als er seinem Rauswurf aus derDüsseldorfer Kunstakademie nur knapp entronnen war. Am Dienstagfeiert der am 14. Juni 1945 im niedersächsischen Bleckede an der Elbegeborene Maler, Grafiker und Bildhauer seinen 60. Geburtstag.

In der Kunstszene ist Jörg Immendorff seit langem eine festeGröße. Beim Ranking des Capital-«Kunstkompass» konnte sich derDüsseldorfer Kunstprofessor zuletzt sogar um zehn Plätze verbessernund zählte als 51. zu den 100 gefragtesten Künstlern der Welt.

Am Anfang der Karriere Immendorffs stand eine programmatischeAussage: Ein Ölbild, das er durchgestrichen und mit dem frechenSchriftzug «Hört auf zu malen!» versehen hatte. Das war in den späten60er Jahren. Damals hatte der Schüler von Joseph Beuys Zweifel an derMalerei und erfand - in den Hochzeiten der studentischenProtestbewegung - «LIDL»: Eine am Happening orientierte Kunstform.

Schon bei Immendorffs erster «LIDL»-Kunstaktion - er hatte sicheinen schwarz-rot-goldenen Klotz ans Bein gebunden und war bis zumEinschreiten der Polizei vor dem Bundestag auf und ab gelaufen -wurde eine künstlerische Haltung des damals Mitte 20-Jährigendeutlich: Kunst sollte politisch und gesellschaftlich wirken undgesellschaftspolitische Vorgänge reflektieren. Dieser Haltung istImmendorff bis heute treu geblieben. Künstler sein bedeute, sich«intensiv mit gewissen Fragen», den Mechanismen von Kunst undGesellschaft auseinander zu setzen, sagte er kürzlich.

Zum wichtigsten politischen Maler seiner Generation wurdeImmendorff mit seiner 1977 begonnenen, Aufsehen erregenden Serie«Café Deutschland»: Arbeiten, in denen sich das deutsch-deutsche undnach 1989 wiedervereinigte Geschehen samt seiner zeitgenössischen wiehistorischen Protagonisten aus Kultur, Politik, Wirtschaft undGesellschaft wie auf einer Bühne ausgebreitet wiederfindet.

Daneben hat Immendorff immer auch sein Künstlersein thematisiert.Berühmt ist sein «Alter Ego», den er in Gestalt eines Affen faststets im Bild platziert. Der Pinsel haltende «Maleraffe» sei Symbolund Maske eines «anderen Ich» zwischen künstlerischer Genialität undanimalischer Triebhaftigkeit, erklärte Immendorff.

Ärzte hatten ihm prophezeit, dass er sein 60. Lebensjahr nichtmehr erleben werde. Der Maler leidet an einer Nervenkrankheit, diedie motorischen Zellen in Gehirn und Rückenmark befällt und dieMuskeln lähmt, bis der Kranke schließlich erstickt.

Seine Angst vor diesem Schicksal und seine Lebensgier sollen auchzu jener kuriosen Szene im August 2003 geführt haben, als ihn diePolizei mit neun Prostituierten und reichlich Kokain in der Suiteeines Düsseldorfer Luxushotels überraschte. Wegen Drogenbesitzeswurde er deswegen zu elf Monaten Haft auf Bewährung und 150 000 EuroStrafe verurteilt - und konnte damit seinen Beamtenstatus und seinenLehrstuhl gerade noch retten.

Immendorff ist Träger des mexikanischen Marco-Preises, der mit250 000 Dollar der höchstdotierte Kunstpreis der Welt ist. Als ersterKünstler begleitete er Bundeskanzler Gerhard Schröder bei einemStaatsbesuch. In St. Petersburg übergab er gemeinsam mit Schrödereine Skulptur, deren schlichter Titel sich erst nach den Kokainfundenals brisant erwies: «Die Nase».