Jubiläum Jubiläum: Kirchenlied-Dichter Gerhardt hat 400. Geburtstag
Gräfenhainichen/dpa. - Für manche ist Gehardt neben Lutherder bekannteste Protestant, für andere der Bob Dylan der Barockzeit.
Gerhardt stammt aus Gräfenhainichen (Sachsen-Anhalt) und zähltdort zum Allgemeingut. Als Stadtoberhaupt Harry Rußbült (Linkspartei)am 6. Januar zum Neujahrsempfang der Mittelstandsvereinigung ein paarWorte sagen sollte, stimmte er die Gäste mit dem Klassiker «Geh aus,mein Herz und suche Freud» ein. «Als Bürgermeister vonGräfenhainichen muss man mindestens ein Lied von ihm kennen», sagtder 56-Jährige. Weltanschauliche Probleme sieht der Linke dabeinicht: «Aus den Texten spricht Humanität, Verständnis und Toleranz.»
Wohl jeder Christ hat sein Gerhardt-Erlebnis. LandesbischöfinMargot Käßmann (Hannover) lernte viele seiner Lieder beim Kochen:«Paul Gerhardt hat es wie kein anderer Liederdichter vermocht, denBlick für die Schönheit, aber auch für das Leiden, die Lebensfreudeund die Sehnsucht nach Trost beisammen zu halten», schreibt sie ineinem Grußwort fürs Gerhardt-Jahr 2007. Ihr sächsischer AmtskollegeJochen Bohl empfand das Erlernen aller Strophen von «Befiehl Du DeineWege» als hartes Stück Arbeit, bei der ihm die Großmutter half.
«Die 12 Strophen waren in verschiedenen Phasen meines Lebens sehrhilfreich. Paul Gerhardt blieb durch die Jahrzehnte hindurch einWegbegleiter», sagt Bohl. Für Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender derEvangelischen Kirche, passt der Jubilar «ebenso gut ins bürgerlicheWohnzimmer oder in die Barockkirche wie in die Gefängniszelle oderins Krankenzimmer». Die Texte seien aktuell: «Die Zeit des Barock maguns fern stehen, die Worte, die der Dichter für jede Lebenssituationfindet, kommen uns nah und berühren uns immer noch und immer wieder.»
Christian Bunners, Präsident der Paul-Gerhardt-Gesellschaft, hatdas «Abendlied» als einschneidendes Erlebnis im Ohr. Als der Vateraus dem Zweiten Weltkrieg nicht heimkehrte, wurde es oft vom Rest derFamilie gesungen. Aber selbst über den kirchlichen Kontext hinaus seiGerhardt für Deutschland bedeutsam: «Er ist der einzige Dichter desBarock, der bekannt geblieben ist.» Gerhardt habe die «Kraft, dieZeiten zu überdauern - zumindest einige seiner zentralen Lieder».
Dass Gerhardts Werke sogar im Ausland populär sind, hängt nichtnur mit Vertonungen Johann Sebastian Bachs zusammen, der Textpassagenunter anderem für die «Matthäuspassion» und das «Weihnachtsoratorium»verwendete. Auch die Kirchenlieder erklingen weltweit. Dabei scheintdie Popularität im Gegensatz zum engen Wirkungskreis des Dichters zustehen: Seine Lebensstationen umfassen außer Gräfenhainichen nur dieStädte Grimma, Wittenberg sowie Mittenwald, Berlin und Lübben, wo erkurz vor seinem 70. Geburtstag starb.
In Grimma besuchte Gerhardt von 1622 bis 1627 die Fürstenschule,in Wittenberg studierte er Theologie. Aus dem Jahr 1643 datiert daserste Gedicht. Im gleichen Jahr siedelte er nach Berlin über und trafdort den Kirchenmusiker Johann Crüger - eine göttliche Fügung für dasdeutsche Kirchenlied. Beide wurden zum Erfolgsduo. Nach einer Stellein Mittenwalde (Brandenburg) übernahm Gerhardt 1657 das Pfarramt ander Berliner Nikolaikirche, 1669 folgte der Wechsel nach Lübben.
Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) prägte sein Schaffen stark,ebenso der Tod von vier seiner fünf Kinder. «Diese Erschütterungenmachen die Texte authentisch, aber nicht pessimistisch. Vielmehrspenden sie bei Schicksalsschlägen Trost», glaubt der Sprecher derLandeskirche Sachsen, Matthias Oelke. Als Beispiel dient der Theologeund Widerstandkämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), der Gerhard-Lieder nach der Verhaftung durch die Gestapo auswendig lernte.
139 deutsche Liedtexte Gerhardts sind überliefert. 400 Jahre nachseiner Geburt wird dem Meister nun ausgiebig gehuldigt. ChristianBunners kann die Zahl der Veranstaltungen gar nicht mehr zählen. DiePaul-Gerhardt-Stadt Lübben bietet unter anderem eine Wanderung aufden Spuren des Dichters und hat ein Bier nach ihm benannt. Denn trotzreligiöser Standhaftigkeit wurde der Theologe manchmal auch schwach -zumindest bei seinem Lieblingsgetränk. Der Legende nach ließ er sichsein Bier extra aus dem sächsischen Torgau nach Lübben bringen.