1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Johann Kresnik: Johann Kresnik: Nackte nähen aus Protest

Johann Kresnik Johann Kresnik: Nackte nähen aus Protest

Von Reinald Hanke 23.01.2004, 15:40
Eine Schauspielerin des Bremer Theaters mit nackten Statistinnen an alten Nähmaschinen in einer Szene der Inszenierung «Die Zehn Gebote» von Johann Kresnik in der Bremer Friedenskirche. Das wegen seiner Nacktszenen umstrittene Stück des Bremer Theaters war zuerst im Bremer St.-Petri-Dom angesetzt. Aufgrund des Medienrummels und Protesten von Gemeindemitgliedern wurden die Proben von der Kirchenführung kurz vor Weihnachten untersagt. (Foto: dpa)
Eine Schauspielerin des Bremer Theaters mit nackten Statistinnen an alten Nähmaschinen in einer Szene der Inszenierung «Die Zehn Gebote» von Johann Kresnik in der Bremer Friedenskirche. Das wegen seiner Nacktszenen umstrittene Stück des Bremer Theaters war zuerst im Bremer St.-Petri-Dom angesetzt. Aufgrund des Medienrummels und Protesten von Gemeindemitgliedern wurden die Proben von der Kirchenführung kurz vor Weihnachten untersagt. (Foto: dpa) dpa

Bremen/MZ. - Bremen, im Winter: Das Stadttheater hat ein Stück über die zehn Gebote angesetzt, Johann Kresnik will im Dom inszenieren. Die Proben beginnen. Da merkt man auf Seiten der Domverantwortlichen, dass man sich auf riskantes Terrain begeben hat. Eine Anzeige des Theaters, in der nackt auftretende Statistinnen in höherem Alter gesucht werden, scheint gerade recht zu kommen.

Ein Streit beginnt. Die niedersächsische Landesbischöfin Margot Käßmann stellt sich auf die Seite derer, die dieses noch niemandem bekannte Stück nicht in einer Kirche sehen wollen. Die benachbarte Friedenskirche entschließt sich, der im Dom nicht geduldeten Aufführung Asyl zu gewähren.

Das Theater um das Theater erinnerte ein wenig an die denkwürdigen Auseinandersetzungen um die Wiener Uraufführung von Thomas Bernhards "Heldenplatz". Dort mündete letztlich alles nach aufwändigen Demos vor dem Theater in der brillanten Aufführung eines großartigen Stückes mit ebensolchen Schauspielern. In Bremen ist das alles doch ein wenig anders.

Johann Kresnik und sein als Libretto-Verfasser genannter Mitarbeiter Christoph Klimke haben sich eines Textes von Pier Paolo Pasolini angenommen: "Teorema" - ein schöner Fremder kommt in die Welt der Reichen. Alle verlieben sich in ihn, projizieren ihre Sehnsüchte auf ihn, benutzen ihn für eigene Zwecke. Letztlich machen sie ihn zum Objekt und entwürdigen ihn damit. Der Gast, gespielt vom zweieinhalb Jahr zu Unrecht in Haft gewesenen, gerade entlassenen Schauspieler Günther Kaufmann, lässt sie gewähren. Er geht wieder und hinterlässt eine zerrüttete Gesellschaft.

Kresnik hat diesen Text zerstückelt und neu zusammengesetzt mit vielerlei Zitaten von Sartre und Fassbinder bis Bush und Meinhof. Es entstand eine agitpropnahe bilderstarke Szenenfolge, die sich an den zehn Geboten orientiert.

Die Zuschauer stehen in der Mitte der kleinen Kirche. Um sie herum und mitten unter ihnen findet das Spiel statt. Die Handlung ist wirr. Aus den Figuren werden keine Charaktere. Sie bleiben allesamt Wortblasen-Absonderer. Der Umgang mit der Sprache ist oftmals plump. Günther Kaufmann überzeugt zwar durch seine Präsenz und Konzentration, aber mehr kann auch er hier nicht erreichen.

Was aber mit Sprache nicht auszudrücken ist, wird durch Orgelklänge, Choräle oder brutale Schlagzeugorgien gesagt. Und manches Bild gerät so eindrucksvoll, dass es haften bleiben wird. Am zwingendsten die umstrittene Szene der nackten Alten, die unter antreibender Musikbegleitung Deutschlandfahnen nähen. Es folgt ein Text, der darauf verweist, dass die westlichen Gesellschaften ihre Kleidung von Menschen in fernen Ländern nähen lassen, die unter unwürdigsten Verhältnissen arbeiten.

Die Obszönität, so vermittelt das Bild, liegt darin, dass wir diese Klamotten kaufen - nicht in der Nacktheit auf der Bühne. Das ist nun wahrlich nichts Neues, aber eben kaum verankert im Bewusstsein der Menschen. Was das mit dem Verbot zu stehlen (und damit auch mit dem Raub von Menschenwürde) zu tun hat, wurde hier gezeigt. Ein großer Theaterabend waren die "10 Gebote" gleichwohl nicht. Aber eine Demonstration, dass das Theater noch immer in der Lage ist, gesellschaftliche Diskurse anzufachen. Auch gegen Widerstände.

Der Schauspieler Henrik Zimmermann (spielt den Soldaten) des Bremer Theaters spielt mit Günther Kaufmann (auf dem Altar) in der Bremer Friedenskirche eine Szene der Inszenierung «Die Zehn Gebote» von Johann Kresnik. (Foto: dpa)
Der Schauspieler Henrik Zimmermann (spielt den Soldaten) des Bremer Theaters spielt mit Günther Kaufmann (auf dem Altar) in der Bremer Friedenskirche eine Szene der Inszenierung «Die Zehn Gebote» von Johann Kresnik. (Foto: dpa)
dpa