Jever in Ostfriesland Jever in Ostfriesland: Anhalt-Land am Nordseestrand
Jever/MZ. - Von dieser Haube lebt die Kontur des Schlosses, vom Schloss das kulturelle Jever-Land. Der Turmaufbau von 1736 ist den Anhaltinern zu danken.
Was hierzulande im öffentlichen Bewusstsein kaum noch abrufbar ist, prägt hoch im Norden bis heute die Landschaft: die Tatsache, dass von 1667 bis 1793 - also über einen Zeitraum von rund 130 Jahren - die Herrschaft Jever in Ostfriesland zum Fürstentum Anhalt-Zerbst gehörte. Von Zerbst aus ist die heutige Kreisstadt im Landkreis Friesland regiert worden. Die Fürsten aber reisten nur selten an, immerhin war eine Distanz von 335 Kilometern, also zehn Tagen Kutsch-Fahrt zu überbrücken. Im Norden saß zumeist ein näherer Verwandter des jeweils regierenden Fürsten, um die Geschäfte zu führen. Die waren nicht gering.
Dem Brot fehlte Butter
Für die Anhaltiner, die über einen verzwickten Erbgang an die Nordsee-Herrschaft geraten waren, bedeutete der territoriale Zugewinn einerseits ein großes Plus an Einnahmen (1776 wurde geklagt, dass der Bevölkerung buchstäblich die Butter auf dem Brot fehle), andererseits einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Zudem bot die Ferne der Fürsten Nischen für Korruption und Willkür, aber auch Freiraum für wirtschaftliche Projekte. Die Bilanz der anhaltinischen Herrschaft ist denn auch eine durchaus positive. Unter den Zerbstern wurde der Deichbau vorangetrieben, mit dem Gartenbau begonnen, Handel und Handwerk angestoßen, sogar geistige Impulse wurden gesetzt. So tragen die "Groden" genannten Grünflächen hinter den Deichen bis heute die Namen anhaltinischer Regenten: Friederiken- oder Friedrich-August-Grode. Um 1800 war die Residenz von einem grünen Gartenkreis umschlossen, im scharfen Kontrast zur grauen Nachbarschaft rundum. Dem Vorbild der Zerbster folgten die Porzellan-Manufakturen von Jever. Sogar die Zerbster Backmode wirkte modellhaft: "Jeversche Leidenschaften" heißt so eine Konditorenware im anhaltischen Stil - flach gewalzte und mit viel Zucker bestreute Brezeln aus Blätterteig. Und ins Schloss zog eine große, beispielhaft aufgeklärte Bibliothek ein, angelegt von Prinz Johann Ludwig von Anhalt-Zerbst-Dornburg (1688-1746), einst Oberland-Drost - also Statthalter in Jever - im Auftrag des regierenden Fürsten Johann August, seines Vetters.
Dieser Johann Ludwig, Fürst seit 1742, ist der Lieblings-Anhaltiner von Antje Sander, Direktorin des Schlossmuseums Jever. Ein sehr gelehrter Mann sei er gewesen, sagt sie, seine heute im Mariengymnasium untergebrachte Bibliothek eine rund 1 000 Titel zählende Bücherei von Rang. Überhaupt, sagt Frau Sander, sei Anhalt in Jever bis heute nicht zu übersehen: in den barocken Funktionsbauten der Stadt, den Gärten ringsum, nicht zuletzt im Schloss selbst.
Die Vierflügel-Anlage mit insgesamt 59 Gemächern beherbergt seit 1921 das "Kulturgeschichtliche Museum in Friesland". Und die zahlreichen Zeugnisse der Zerbster Herrschaft: Fürsten-Porträts, Fayencen und Goldspitzen, Ledertapeten und Gobelins. Keine selbstverständliche Ausbeute: Jever ist für Anhalt ja stets ein Abenteuer gewesen. Andere Traditionen, andere Sitten, sogar ein anderes Klima herrschte. 1787 notierte der hallesche Arzt Johann Christian Reil: "Diese vermischte Luft aber macht die Einwohner gesund, groß, stark und fett (welches letztere viele hierher gekommene Anhaltiner erfahren) wie auch ziemlich alt."
Von Ost nach West
Die Gegenwart kann mit diesem Erbe bestens leben. Seit 1990 ist Jever die Partnerstadt von Zerbst, in bereits drei gelungenen Sonderausstellungen hat Jever die "Fernen Fürsten" gefeiert, Anhalt-Busreisen starten vom Norden her nach Mitteldeutschland. Wenn sich Antje Sander etwas wünschen dürfte, wäre es, die kulturtouristische Vernetzung der Regionen zu fördern, also auch Kulturtouren von Ost nach West. Was machbar sein müsste. Leichter jedenfalls, als den Ortsnamen Jever endlich korrekt auszusprechen: nämlich mit einem "f" statt "v". "Jefer" also, aber das hat bislang nicht einmal die Bierwerbung geschafft.