Jamie Cullum will kein Sinatra sein
London/dpa. - Bitte bloß kein Vergleich mit Frank Sinatra: So wie der große Jazzimprovisateur will der englische Sänger und Pianist Jamie Cullum nun überhaupt nicht klingen.
«Ich mache nicht seinen Stil, nein, echt nicht», bestreitet der trotzig im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Mit seinem fünften Studioalbum «The Pursuit» (Die Verfolgung) beweist der 30-Jährige jedoch genau das Gegenteil und folgt in herausragender Weise den Spuren des US-amerikanischen Entertainers und Schauspielers.
Jazz ja, Sinatra nein - Cullum will anders sein. «Ich will Pop und Rock einbeziehen. Ich spiele eher einen ungezwungenen Stil: anziehend, tanzbar, energiegeladen, zum Headbangen.» Sinatra und Headbangen passen wirklich nicht zusammen. Dabei galt der populäre Sinatra (1915-1998) zu Lebzeiten schon als Quertreiber in der Jazzwelt.
Wer Cullums neues, gerade erschienenes Album hört, findet schnell auffällig viele musikalische Parallelen zu Sinatras unkonventionellem Stil. Gleich im ersten Lied «Just One Of Those Things» lässt seine betörend-sanfte Stimme zu Klaviergeklimper Frauenherzen dahinschmelzen. Mit leidend-melancholischer Stimme sieht das Energiebündel in diesem, wie er sagt, «Song für One-Night-Stands» die Tonleiter als Achterbahn, zieht Vokale schmerzverzerrt länger und verändert ihre Tonlage, ehe er nach einer Anspielung auf Sinatra («a trip to the moooooooon») ins Improvisieren am Klavier eintaucht. Dabei haut er auch mal mit den Füßen auf die Tasten und springt zum Finale aufs Klavier. Noten braucht er nicht: Er kann sie nicht lesen.
Der Sohn israelisch-birmanischer Eltern haut mehr auf die Pauke als der erfolgreichste Sänger des vergangenen Jahrhunderts. Der Flanellhemd-Träger - Markenzeichen der Grunge-Szene - begann im Alter von zwölf Jahren zu musizieren, nachdem er die Red Hot Chili Peppers im Radio hörte. «Ich machte dann meinem Bruder alles nach, lernte Gitarre, hörte viel HipHop. Irgendwie hat es mich dann zu Jimi Hendrix und Miles Davis verschlagen. Ich wollte ihre Techniken lernen. Die beiden sind irre gute Techniker.»
Sein Crossover-Spiel auf der Basis des Jazz' ist auf «The Pursuit» perfektioniert: Rihannas Tanznummer «Don't Stop The Music» versprüht bei halbem Tempo mehr Gefühl als das Original. «If I Ruled The World» klinge dagegen «ein bisschen mehr nach Beerdigung» als seine anderen Balladen. «Wheels» verarbeitet die «deprimierenden Nachrichten über die Wirtschaftskrise und die Zeit, als die Dinge richtig beschissen wurden». Das simple Riff für sein Klavierspiel in diesem Lied habe er von seinem sechsjährigen Cousin geklaut. Das Album sei seiner mehr als einen Kopf größeren Verlobten, Fotomodel Sophie Dahl, gewidmet.
Cullums Charme explodiert auf der Bühne. Auf dem Albumcover explodiert sein Klavier. Der Pianist will mit modernen Beats junge Leute zum «schwierigen» Jazz locken, die damit bisher nichts anfangen können. Er setze auf einfache Botschaften und eingängige Melodien. Damit schlägt er in die Kerbe jazziger Populärmusiker wie Katie Melua und Norah Jones. «Jazz ist jung und dynamisch, ein Stehaufmännchen.» Deswegen habe er nur skizzenhafte Kompositionen zu den Studioaufnahmen mitgenommen. Etwas Ungeschliffenes prägt Cullums bisher beste Platte.
Der 1,60 Meter große Jazzrebell, der das Double von Frodo aus dem verfilmten Epos «Der Herr der Ringe» sein könnte, stößt auch zum Film vor. Clint Eastwood lud ihn nach Hollywood ein, um an Ort und Stelle den Titelsong für das Drama «Gran Torino» aufzunehmen. Das Lied wurde für den Golden Globe nominiert. Im nächsten Jahr - nach seiner Hochzeit - geht Cullum auf Tour und will auch nach Deutschland kommen.