James Joyce James Joyce: Sein «Ulysses» gilt als Jahrhundertwerk
Hamburg/dpa. - Und das obwohl Lästerer behaupten, dass die wenigsten Joyce-Titel in den Regalen von Bücherfreunden wirklich bis zum Ende gelesen sind. Am 2. Februar vor 125 Jahren wurde Joyce in einem Vorort der irischen Hauptstadt Dublin geboren.
Sein Hauptvermächtnis an die Schriftsteller-Generationen nach ihm war die Darstellungstechnik des Bewusstseinsstroms («Stream of consciousness»). Zwar haben auch andere - etwa Virginia Woolf und Alfred Döblin - das innere Selbstgespräch ihrer Figuren um Gedankenfetzen und flüchtige Sinneseindrücke erweitert. Doch niemand tat das so akribisch und so vielschichtig wie Joyce. Pionier war er auch beim Mischen der Stil-Ebenen: Gerne stellte der umfassend gebildete Jesuitenzögling theologische Spekulationen neben obszöne Witze, Shakespeare-Zitate neben Werbesprüche.
Der Mann, der die moderne Literatur so sehr bereicherte, lebte die meiste Zeit seines Lebens in armen Verhältnissen. Zwei seiner zwölf Geschwister starben an Typhus, mit zehn musste er das Internat verlassen, weil sein Vater die Gebühren nicht mehr zahlen konnte. Eine Priesterausbildung schlug er aus; stattdessen studierte er Englisch, Französisch und Italienisch und ging mit 22 als Lehrer an die Berlitz-Sprachschule in Triest. Ständig in Geldnöten und von einer Augenkrankheit geplagt, zog Joyce später nach Zürich, dann nach Paris, von wo er vor den deutschen Truppen wieder nach Zürich floh. Dort starb er am 13. Januar 1941.
Ins dreieinhalb Jahrzehnte dauernde Exil ging jedoch nur der äußere Teil seiner Existenz, Joyces dichterische Imagination kam nie von zu Hause weg. Im «Ulysses» schildert er einen Tag in Dublin, wie er sich in den Gedanken und Eindrücken des Anzeigenverkäufers Leopold Bloom abbildet. Jedes noch so nebensächliche Detail ist dem realen Geschehen dieses 16. Juni 1904 entnommen - und gleichzeitig Mosaikstein eines Kunstwerks, in dem Joyce die Wege und Erlebnisse Blooms mit der Irrfahrt von Homers Odysseus durch die antike Mittelmeerwelt korrespondieren lässt. Darstellungsform, Sprachstil und Symbolik wechseln mit jedem Kapitel, Philologen zählen 30 000 verschiedene Vokabeln - das entspricht dem Wortschatz Goethes.
Dass Joyce seine Figuren bis auf ihre sexuellen Tagträume entblößte, schockierte manche Zeitgenossen. 1922 in Paris erschienen, blieb «Ulysses» in England und den USA lange verboten. Seiner Verbreitung schadete das nicht. Noch heute feiern Joyce-Fans in aller Welt jedes Jahr am 16. Juni den «Bloomsday», der in Dublin immer mehr zur touristischen Attraktion wird. 1998 wählten amerikanische Autoren und Literaturwissenschaftler den «Ulysses» zum besten englischsprachigen Werk des Jahrhunderts.
Ein Jahr zuvor hatte es eine juristische Kontroverse um den Roman gegeben, als ein Londoner Verlag eine angebliche Urfassung veröffentlichte. Eine «schändliche Fehlinterpretation», schimpfte Joyces Enkel Stephen James als einziger lebender Nachkomme und Nachlassverwalter.
Noch rätselhafter als der «Ulysses» ist «Finnegans Wake», an dem Joyce 15 Jahre - bis kurz vor seinem Tod - arbeitete. Hatte er im «Ulysses» den Tag beschrieben, so nahm er sich nun die Nacht vor. Zigtausende eng verwobene mehrsprachige Wortspiele sollten wiedergeben, was die Hauptfigur Humphrey Chimpden Earwicker in dieser Nacht träumt - ein schwer zugänglicher Text, an dem die Literaturwissenschaft noch manches zu erschließen hat. Der Züricher Joyce-Spezialist Fritz Senn sagt: «Wir stehen da noch nicht auf gesichertem Boden. Wobei ich nicht meine, dass sich das Ganze jemals auf eine Formel bringen lassen wird.»
Doch nicht immer stellt Joyce so hohe Ansprüche an seine Leser. Die 1914 erschienene Novellen-Sammlung «Dubliners» und der zwei Jahre später veröffentlichte Roman «Porträt des Künstlers als junger Mann» sind vergleichsweise konventionell geschrieben - und gelten doch als Meisterwerke.