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Isabel Allende Isabel Allende: «Ich habe Ecstasy probiert»

29.07.2012, 14:41
Isabell Allende (ARCHIVFOTO: DPA)
Isabell Allende (ARCHIVFOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Halle (Saale)/MZ. - In einem mit Holz verkleideten Haus an einer der Hauptstraßen stapeln sich in Regalen die englischen, französischen, deutschen oder italienischen Übersetzungen ihrer Romane: Isabel Allende weltweit - bislang wurden ihre Bücher wie "Das Geisterhaus", "Fortunas Tochter" oder "Mein erfundenes Land" in mehr als 30 Sprachen übersetzt.

Seit 1986 lebt die chilenische Bestsellerautorin mit ihrem zweiten Mann, einem amerikanischen Anwalt, in Kalifornien. Sausalito ist auch Sitz der nach ihr benannten Stiftung, mit der sie seit 1996 legale und illegale Einwanderinnen unterstützt - mit kostenloser Gesundheitsversorgung, Weiterbildung oder auch Drogenberatung. Drogen sind auch Thema ihres neuen Romans "Mayas Tagebuch", der Anfang August erscheint. Es ist ein vielschichtiges Sittengemälde der US-amerikanischen wie der chilenischen Gesellschaft. Mit Isabel Allende sprach Martin Scholz.

Senora Allende, in Ihrem neuen Roman beschreiben Sie an einer Stelle wie eine Großmutter eine Ecstacy-Pille ihrer drogensüchtigen Enkelin schluckt, ohne zu wissen, was das ist. Die Wirkung schildern Sie dann sehr eindrücklich…

Allende: …und jetzt wollen Sie mich fragen, ob ich selbst mal Ecstasy genommen habe.

Haben Sie?

Allende: Sicher. Ich habe Ecstasy probiert, Marihuana geraucht. Wenn man so alt geworden ist wie ich, hat man alles mal probiert - was glauben Sie denn! Sowas haben doch viele in ihrem Leben mal gemacht, ohne deshalb Junkies geworden zu sein. Die Schilderungen der Sucht und ihrer Folgen haben leider ebenfalls einen für mich sehr realen Hintergrund: Die drei Kinder meines zweiten Ehemannes Willy waren alle drogenabhängig. Eine seiner Töchter starb an einer Überdosis. Sein Sohn ist jetzt 47 und hat die Hälfte seines Lebens im Gefängnis oder in Entzugskliniken verbracht. Er hat nichts aus seinem Leben gemacht.

Was bringt Sie dazu, in Romanen wie in autobiographischen Büchern immer wieder solche persönlichen Traumata öffentlich zu machen?

Allende: Es hilft mir, damit fertigzuwerden. Wobei das bei den autobiographischen Büchern anstrengender ist, weil es nachher immer Debatten mit Freunden und Verwandten gibt. "Mayas Tagebuch" ist eine Fiktion. ich schreibe nicht über Willies Kinder, sondern über ihre Erfahrungen.

Die 19-jährige Maya hat eine Schutzpatronin, eine wilde, starke Oma, die für ihre Enkelin sorgt...

Allende: Ja. Ich bin auch so eine Oma, ich habe mich sehr intensiv um das Leben meiner Enkel gekümmert.

Auch eingemischt?

Allende: Auch das mitunter, ja. Ich war nie so eine gefühlsduselige, weichliche Omi. Wenn sie sich daneben benehmen und das Temperament mit mir durchgeht, kann es vorkommen, dass ich mit dem Kochlöffel austeile. Das ist schon in Ordnung.

Kommen Ihre Enkel trotzdem zu Ihrem 70. Geburtstag am 2. August?

Allende: Sicher. Meine ganze Familie wird da sein. Aber ich werde meinen Geburtstag nicht groß feiern.

Warum nicht?

Allende: Ich mag keine Partys. Ich bin an solchen Tagen lieber im Kreis meiner Familie.

Ist es für Sie ein Geburtstag wie jeder andere?

Allende: Nein. Ich blicke in diesen Tagen schon zurück, natürlich. Es kommt mir wie ein sehr langes Leben vor. Ich fange wieder an, mich an Dinge zu erinnern, die ich vergessen hatte, auf meinen vielen Reisen - und auch Fluchten - aus dem Pinochet-Chile nach Venezuela, später nach Kalifornien. Ich empfinde es als ein großes Glück, dass meine Mutter und mein Stiefvater in Chile noch leben. Sie sind beide über 90 und geistig noch auf der Höhe. Meine Mutter wird mich in den nächsten Tagen wieder hier in Kalifornien besuchen. Sie fliegt mit 91 von Chile nach San Francisco. Die Reise dauert 21 Stunden von Tür zu Tür. Aber sie kommt! Ich kann an ihr beobachten, wie das Leben mit 90 sein kann. Wie es mit 70 ist, sehe ich jetzt ja selbst. Ich habe es aber vorher bei ihr gesehen.

Ist Ihre Mutter ein Vorbild, was das Älterwerden betrifft?

Allende: Ja. Sie interessiert sich immer noch für das Leben, sie malt, schreibt mir jeden Tag einen Brief. Sie hat immer noch ein erfülltes Leben - das inspiriert mich. Leben bedeutet ja nicht, dass alles so lang wie möglich jung bleiben muss.

Sie haben sich selbst liften lassen und auch darüber in Ihrer Autobiographie "Das Siegel der Tage" geschrieben. Sie schrieben darin auch von den leidvollen Erfahrungen einer Freundin, deren Silikonbrüste sich auflösten.

Allende: Ja, bestimmte Vorstellungen von Schönheit machen vor allem Schönheitschirurgen glücklich. Aber sehen Sie, wenn man gewisse Unannehmlichkeiten des Alters korrigieren kann - Warzen, Altersflecken - warum nicht?! Andere Begleiterscheinungen des Alters können Sie sowieso nicht aufhalten. Ewige Jugend gibt es nicht. In den USA ist man aber besessen von der Jugend: Die Frauen auf den Zeitschriftentiteln sind fast alle blond, haben dicke Brüste, aufgespritzte Lippen und Arsch-Implantate. Aber erstens kann man dieses Schönheitsideal im Alter nicht aufrecht erhalten, zweitens ist es unglaublich langweilig, weil alle gleich aussehen.

Senora Allende, in Ihrem neuen Roman beschreiben Sie auch, wie sich Ihre Heimat 22 Jahre nach dem Ende der Pinochet-Diktatur verändert hat. Die Insel, auf die Maya flüchtet, ist eine Art Mikrokosmos der chilenischen Gesellschaft. Dort gehen ehemalige Gegner und Befürworter des Regimes aufeinander zu. Ist das Ihr Wunschdenken oder schon Teil der Realität in Chile?

Allende: Das habe ich mir nicht ausgedacht, dieses Aufeinander-Zugehen ist heute in Teilen Realität. Parallel dazu gibt es allerdings einen anderen Trend: Inzwischen ist in Chile eine neue Generation herangewachsen, die das Pinochet-Regime nicht mehr erlebt hat. Für sie ist die Diktatur so etwas wie antike Geschichte.

Sie selbst hatten nach dem Putsch Verfolgte des Regimes versteckt, standen später auf einer schwarzen Liste, mussten um Ihr Leben fürchten und verließen schließlich das Land.

Allende: Ja, aber für viele junge Menschen ist die Diktatur eine Zeit, die sie nicht mit einschließt. So ist das nun mal. Dennoch hat es im Land positive Veränderungen gegeben. Dass viele Chilenen der Polizei und dem Militär heute einen neuen, vorsichtigen Respekt entgegenbringen, ist der Verdienst unserer vorherigen Präsidentin Michelle Bachelet.

Michelle Bachelet wird in Ihrem Roman als "beste Präsidentin, die Chile je hatte" gepriesen. Während ihrer Amtszeit sorgte sie auch deshalb für Aufsehen, weil sie die Hälfte der Jobs in ihrer Administration mit Frauen besetzt. Was ist davon unter ihrem konservativen Nachfolger Sebastian Pinera geblieben?

Allende: Viele der Veränderungen, die sie eingeleitet hat, sind noch wirksam, zum großen Teil jedenfalls. Es gibt immer noch viele Frauen, die in der Regierung und den Ministerien arbeiten. Das Problem ist heute weniger, dass wir jetzt eine Rückkehr zum Land der Machos zu beklagen hätten, sondern dass wir eine rechte Regierung haben, die das Land wie ein Unternehmen führt. Pinera geht es nur um Profit, ein Land ist aber kein profitorientiertes Unternehmen. Politiker haben auch die Verpflichtung, ein soziales Netzwerk aufrechtzuerhalten und zu schützen. Mein einziger Trost ist: Pinera war bisher nicht sehr erfolgreich, ist in der Bevölkerung nicht sehr beliebt.

Sie haben Ihr ganzes Leben für die Gleichberechtigung von Frauen gekämpft…

Allende: …und ich werde wohl als kämpfende Feministin sterben - denn in meinem Leben werde ich das Ende des Patriarchats nicht mehr erleben. Da mache ich mir keine Illusionen.

Klingt verbittert.

Allende: Das bin ich nicht. Ich sehe natürlich, was die Frauenbewegung erreicht hat. Aber davon profitieren vor allem privilegierte Frauen in den Industrieländern, die Zugang zu Bildung und zum Gesundheitswesen haben. Da hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vieles zum Besseren verändert.

Sie sind Großmutter, haben volljährige Enkelinnen - was verbinden die heute mit dem Begriff "Feminismus"?

Allende: Meine beiden Enkelinnen sind 19 und 20 Jahre alt. Wenn ich mit ihnen über Feminismus spreche, muss ich leider oft feststellen, dass sie alles, was wir erreicht haben, für selbstverständlich nehmen. Ich versuche ihnen einzubläuen: "Nehmt diese Errungenschaften und Freiheiten nicht als Selbstverständlichkeiten hin, Ihr könnt das alles auch wieder verlieren von einer Minute auf die andere." Aber was soll ich machen, sie gehören zu dieser großen Gruppe von sehr privilegierten Frauen, sind sich dessen aber nicht bewusst.

Macht Sie das wütend?

Allende: Man kann ihr Leben nicht mit meinem vergleichen. Die Feminismus-Bewegung der 60er, 70er sogar der 80er wurde von außergewöhnlichen Frauen wie beispielsweise Gloria Steinem verkörpert, die intellektuelle Debatten angestoßen und in dieser Zeit viel erreicht haben. Und die neue Generation hat andere Dinge im Kopf. Lady Gaga ist zwar auch eine Ikone, sie repräsentiert auch etwas, aber sie ist keine Gloria Steinem. Aber ich will gar nicht nur meckern. In den USA machen heute beispielsweise mehr Frauen als Männer einen College-Abschluss. Sie haben sogar bessere Noten in der High School und im College als Männer, sie bekommen gute Jobs. Die jüngere Generation profitiert heute von einer anderen Dynamik, von Prozessen, die wir in den 60ern, 70ern angestoßen haben.

Stimmt es eigentlich, dass Sie in jungen Jahren Schnulzenromane vom Englischen ins Spanische übersetzten und gefeuert wurden, weil Sie die Dialoge der Protagonistinnen umschrieben, und sie auf diese Weise intelligenter machten, als sie sein sollten?

Allende: Ja. Ich zumindest fand, dass sie mit meinen Worten intelligenter waren als vorher. Das war in den 60ern. Diese Liebesromane waren damals noch ganz anders geschrieben als heute. Inzwischen sind das ja fast Softpornos. Damals war es einfach nur sentimentaler Bullshit, was auch grauenhaft war. Mit der Zeit war es mir einfach zu öde, das einfach nur zu übersetzen, also habe ich die Geschichten ein bisschen modifiziert, an den Dialogen gefeilt und das Ende verändert.

Was genau haben Sie geändert?

Allende: Einmal habe ich eine der Frauen Waffen in Nahost verkaufen lassen, während ihr Mann am Ende Mutter Teresa in Kalkutta half - sowas in der Art. Ganz genau weiß ich es nicht mehr. Der Verlag hat es erst sechs Monate später herausgefunden, womöglich, weil sich die Bücher auf einmal nicht mehr so gut verkauften wie die anderen. Klar, dass sie mich gefeuert haben. Aber das war es mir wert. Die Heldinnen waren in diesen Geschichten immer nur diese Blödchen, die von einem Mann gerettet werden mussten. Das wollte ich ändern. Wenn ich irgendwo auf einem Flohmarkt noch mal eines dieser Bücher in die Hände bekomme, lasse ich es Sie wissen.

Senora Allende, Sie leben seit 1986 in Kalifornien, besitzen einen US-Pass und wählen dort. Unser letztes Interview fand am Tag nach der Wiederwahl George Bushs statt..

Allende: Das ist lange her, aber ich habe den Tag nicht vergessen, ich war außer mir, dass sie alle wieder auf ihn hereingefallen waren.

Dass sein Nachfolger Obama die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt hat, wird inzwischen selbst von seinen Unterstützern gebetsmühlenartig wiederholt. Gehören Sie auch zu der Gruppe der Enttäuschten?

Allende: Das muss man schon differenzieren. Als er ins Amt kam, waren die Hoffnungen so unglaublich hoch, dass sie niemand hätte erfüllen können. Er hat Wichtiges vorangebracht, wie die Gesundheitsreform. Andererseits hat die Obama-Administration mehr Latinos abgeschoben als jede andere US-Regierung vor ihr. Das macht mich fassungslos. Die Zahl der Abschiebungen ging während seiner Amtszeit steil nach oben, es gab Razzien in Häusern, bei denen die Eltern abgegriffen wurden, und die Kinder zurückgelassen wurden. Ich finde das furchtbar, abscheulich. Es ist durchaus möglich, dass er die Wahl verliert - wegen der Finanzkrise und der hohen Arbeitslosigkeit. Und das betrifft vor allem Männer der weißen Mittelklasse. Und die schimpfen jetzt auf die Latinos, weil sie deren Arbeit für weniger Geld machen. Die alte Leier.

Werden Sie Obama wieder wählen?

Allende: Ich bin schon enttäuscht von Obama. Aber ich werde trotzdem für ihn stimmen.