Interview mit Ute Lemper Interview mit Ute Lemper: Ihr neues Album "The 9 Secrets" ist eine Reise durch das Leben
Halle (Saale) - Die Sängerin, Komponistin und Schauspielerin Ute Lemper (53) ist bekennende New Yorkerin. Regelmäßig aber kehrt sie in ihre Heimat Deutschland zurück, um Konzerte zu geben.
Am 6. November um 17 Uhr stellt die Ausnahmekünstlerin in der Händel-Halle in Halle ihr jüngstes Projekt vor. „The 9 Secrets“, erschienen auch als Album, ist eine poetische Symphonie in neun thematischen Liedern.
Der Zyklus basiert auf Texten aus „Die Schriften von Accra“ des brasilianischen Bestseller-Autors Paulo Coelho. Entstanden ist eine leidenschaftliche Mischung aus arabischer Musik, europäischen Chanson-Einflüssen und Bossa Nova.
Die während des Konzertes eingeblendeten Bilder zu den Song-Gemälden stammen von Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff.
Sylvia Pommert hat für die MZ mit Ute Lemper über das Projekt und ihr Leben in New York gesprochen.
Vor zwei Jahren haben Sie mit den „Love Poems Of Pablo Neruda“ im Gewandhaus Leipzig für Aufsehen gesorgt. Damals erwähnten Sie im Gespräch, dass Ihnen ein Projekt mit Texten von Paulo Coelho vorschwebt. Wann haben Sie es in Angriff genommen?
Ute Lemper: Ich bin gerade damals im Prozess der Kreation und Komposition gewesen. Ich habe den Zeitraum zwischen 2014 und 2015 mit der Aufnahme der CD „The 9 Secrets“ hier in New York und der Erarbeitung der Bühnenversion für die Ruhrfestspiele im deutschen Recklinghausen verbracht, wo sie Premiere hatte – all das zwischen meinen vielen anderen Tourneen. Es war ein toller Prozess, unglaublich erfüllend und inspirierend. Mir kochte das Blut, als ich ein Jahr lang aus dem Nichts dieses Werk erschuf. Das war ein tolles Gefühl.
Was fasziniert(e) Sie an den Büchern Coelhos?
Lemper: Jedes seiner Bücher ist eine Reise, eine Geschichte, die eine Evolution im Leben beschreibt. Coelho zu lesen, führt zu der Erkenntnis, dass es einfach kein Ziel gibt und keine klare Destination, sondern dass das Leben ein Prozess ist mit vielen Kapiteln. Durch diese Perspektive entsteht ein alternatives Universum, das liebevoll den Tag erkennt und darin aufgeht. Das auf jede Überraschung gefasst ist und in ständiger Veränderung das Leben genießt.
Nach welchen Kriterien haben Sie Passagen „Die Schriften von Accra“ für Ihr Projekt ausgesucht?
Lemper: Die Kapitel beschreiben die Themen des Lebens. Ich habe nach den hauptsächlichsten gesucht und neun gefunden: Feuer und Intuition, Liebe, Wort und Tugend, Erfolg, Veränderung, Sex und Hingabe, Schönheit, ewige Bewegung und schließlich Einsamkeit. Ich habe die Perlen aus Coelhos Texten etwas poetisiert und in Liedform gefasst, habe sie ihm vorgestellt und dann mit der Komposition des Zyklus „The 9 Secrets“ begonnen.
Der Liederzyklus sei, so heißt es, eine Symbiose zwischen den Schriften Coelhos und Ihren Erfahrungen. Würden Sie uns das bitte an einem Beispiel erklären?
Lemper: Ha, ja, in dieser Zeit gab es viele konfuse Gedanken in meinem Herzen und auf meinem Lebensweg. Eine Zerrissenheit und ein Zweifel an allem. Die Worte Coelhos wirkten wie ein warmer Mantel von Frieden und setzten alles in eine Perspektive, die beruhigte.
Das Booklet zum Album „The 9 Secrets“ enthält einen Aufruf, die Welt mit einem unsichtbaren Schwert zu bereisen und damit die Dämonen der Intoleranz zu bekämpfen. Welche Erscheinungen der Intoleranz empfinden Sie als besonders belastend? Wie stellt sich Ute Lemper eine bessere Welt vor?
Lemper: Natürlich sind wir vielen Dämonen ausgesetzt in unserer Welt der Gegensätze. Im Zeitalter der Völkerwanderungen tut die Ungleichheit der Chancen und Zufälligkeiten der Schicksale besonders weh. Ich finde es unerträglich und unverantwortlich, all die leidenden Kinder und Mütter und all die unschuldigen Menschen in Not, die verlassen sind, zu begaffen - und dann ein Steak zu essen. Unsere Ignoranz gegenüber den Leiden der Menschen und unsere Selbstsucht sind furchtbar und unentschuldbar.
Gleichzeitig sind die Extreme der Gewalt im Namen der Religion und die skrupellose Regierung der Banken und Geldmacher unentschuldbar. Es gibt so viele Disharmonien in unserer Welt, denn sie ist durch die Arroganz des Geldes und seiner Besitzer strukturiert. Das wird Konsequenzen haben – für uns alle. Und das treibt mich um.
Wie hat Coelho das Projekt „The 9 Secrets“ begleitet?
Lemper: Er hat mich zu diesem Projekt immer ermutigt und es abgesegnet, hat es in seinen sozialen Medien unterstützt und gelobt. Coelho ist ein guter Freund geworden – wenngleich er in seiner Zurückgezogenheit auch sehr schwierig sein kann.
Am Anfang Ihrer Karriere stand das Musical. Das ist vielen Ihrer Fans noch gut in Erinnerung. Sehr bald schon wechselten Sie aber zum Chanson, interpretierten Weill und Brel und schrieben Ihre eigenen Stücke. Haben Sie dem Musical inzwischen komplett abgeschworen?
Lemper: Nein, es war immer ein paralleler Weg. Meine Chanson-Karriere startete 1986 gleichzeitig mit meiner Bühnenkarriere und doch völlig unabhängig von ihr. Im Laufe der Jahrzehnte habe ich gern Musicals gespielt, aber doch immer meine Solo-Konzerte vorgezogen. Wegen der großen künstlerischen Freiheit, die ich dabei genießen kann, der Möglichkeit zur Improvisation und letztlich der Möglichkeit zur ständigen Veränderung der Konzertsituation und der Arrangements. Ich kann durch französisches, deutsches, argentinisches oder eben zum Beispiel durch jazziges und klassisches Repertoire wandern und überall mein Mosaik aus verschiedenen Inspirationen schaffen. Ich bin ein Weltbürger, und meine Konzerte sprechen diese Weltsprache.
Seit etlichen Jahren leben Sie in New York. Was macht diese Stadt für Sie immer wieder spannend und attraktiv?
Lemper: Ich fühle mich als New Yorkerin, als Deutsche und als Europäerin. Meine vier Kinder sind hier in New York mit einem großen Gefühl der Toleranz und Akzeptanz der menschlichen Vielfältigkeit aufgewachsen. Sie sind zu (kleinen) Weltbürgern geworden, die wirklich fast alles gesehen haben und damit umgehen können. Sie haben ein starkes politisches Bewusstsein, ein Ur-Gefühl für Gerechtigkeit und den Willen, dafür zu kämpfen. Ich selbst habe hier eine unglaubliche Szene zur Inspiration. Es gibt keine „Normalität“ in dieser Stadt. Man muss nirgendwo hineinpassen und dazugehören. Es gibt nur Individualität.
Was lieben Sie an Deutschland? Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann wieder länger hier zu sein?
Lemper: Deutschland ist meine Heimat. Und das Deutschland von heute ist so sehr anders als das Land, in dem ich aufgewachsen bin. Es ist progressiv und tolerant, ist vielseitig und politisch korrekt. Und es schützt die Menschen. Ich vermisse es oft, aber unsere Familie lebt nun einmal in New York.
Wie wichtig ist Ihnen die Familie?
Lemper: Unglaublich wichtig. Meine Familie ist der Grundbaustein meines Lebens, und ich bin sehr stolz auf sie. Die Liebe zu meinen Kindern, die Sorge um und für sie ist das Größte für mich. Meine beiden erwachsenen Kinder sind zu meinen besten Freunden geworden, und das ist wunderbar. Es gibt einen großen Zusammenhalt.
Wie managen Sie Tournee und Kinder? Ihre beiden jüngsten Söhne, fünf und elf Jahre alt, fordern sicher noch sehr viel Aufmerksamkeit und Zuwendung. Kann es daher sein, dass Sie eine Tournee auch zum „Auftanken“ für sich selbst nutzen?
Lemper: Ja, schon. Es ist einfach total anstrengend, allen Menschen in meiner Familie gerecht zu werden. Alle Kinder verlangen Zuneigung und Sorge – jedes auf seine ganz eigene Weise. Auch mein Mann kann anstrengend sein... Ja, ich habe schon viel Gutes gepflanzt. Und manchmal bin ich auch überfordert – aber doch immer umgeben von Leben und Liebe.
Ihre Kinder haben Sie – wie man lesen kann – immer mal wieder als „typisch deutsch“ bezeichnet. Was ist an Ihnen so typisch deutsch, dass es ins Auge fällt?
Lemper: Ha, naja, wenn ich ab und zu mal streng bin und kritisiere. Wenn ich zur Selbstdisziplin auffordere, zur Zähigkeit und Stärke. Ich bin halt eine Powerfrau. Das ist mitunter eine Herausforderung für meinen Mann und meine kleinen Söhne. Manchmal gibt es auch schon Streit, wenn ich einfach nur auf einer guten Esskultur bestehe. Kein Stopfen, nichts Ungesundes. Das ist gar nicht so leicht. Aber meine Männer mokieren doch immer mit Liebe meine „Non American Art“.
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(mz)