Interview mit Publizist Gustav Seibt Interview mit Publizist Gustav Seibt: Schluss mit Sachsen-Anhalt

berlin/MZ - „Luther und Wind“ ist der Artikel im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung überschrieben, in dem der Historiker und Publizist Gustav Seibt am Dienstag engagiert darüber nachdachte, „warum man Länder wie Sachsen-Anhalt zumachen sollte“. Mit Seibt, 54, der zu den besten Kennern der historischen Kulturlandschaften in Sachsen-Anhalt gehört, sprach unser Redakteur Christian Eger.
Herr Seibt, Sie sagen über Sachsen-Anhalt, es sei „keine lokale Frage, wie es diesem Land geht“. Warum?
Gustav Seibt: Sachsen-Anhalt hat eine auffällig hohe Anzahl an Weltkulturerbestätten, das sind nationale und europäische Schätze, die man erhalten muss. Und zwar nicht nur für eine, sondern für viele Generationen. Das spielt eben eine Rolle für unser historisches Selbstverständnis insgesamt und sollte nicht abhängig gemacht werden vom Haushalt eines defizitären Bundeslandes.
Das Defizit ist aber gewaltig. Wie angemessen ist es da, einen bereits geschrumpften Kulturetat nochmals drastisch zu kürzen?
Seibt: Dass die Finanzlage von Sachsen-Anhalt schwierig ist, ist ja offenkundig. Nur an diesem Zustand wird das Kaputtsparen der Kultur überhaupt nichts ändern. Es gibt da ein Verhältnis von kurzfristigem Nutzen und langfristigem Effekt, das wirtschaftlich unvernünftig ist. Man spart nur relativ kleine Beträge und hat damit immense negative Wirkungen auf die Kultureinrichtungen, die davon betroffen sind. Der Schaden ist um vieles größer als der geringe Nutzen.
Die geplanten Kürzungen treffen die Bühnen und Orchester. Was wäre damit gewonnen, ein Vier-Sparten-Haus wie das Anhaltische Theater in Dessau auf eine reine Musik- oder Gastierbühne zu schrumpfen?
Seibt: Es wäre eine kleine Summe gewonnen, natürlich, die sich auch addiert mit anderen kleinen Summen. Aber was verloren gehen würde, ist nicht nur eine bestimmte Versorgung für ein lokales Publikum und ein Anziehungspunkt für ein überregionales Publikum, das ja für solche Leistungen in Städte wie Dessau kommt. Immerhin gehört das Anhaltische Theater zu den besten Bühnen Deutschlands! Es würde auch eine bestimmte Form von gesellschaftlicher Erziehung verschwinden. An den Theatern studieren Hunderte Menschen die kulturellen Hinterlassenschaften. Das hat einen Effekt auf die Gesellschaft, den man nicht messen kann. Es geht um eine primäre Zivilisiertheit, die ersatzlos verschwinden würden, wenn solche Strukturen zerschlagen werden und wenn sich ein gewisser Prozentsatz der Gesellschaft nicht mehr mit den großen Texten und Partituren unserer kulturellen Überlieferung beschäftigt.
Sachsen-Anhalt fordert, dass sich der Bund zu 50 Prozent an den Welterbestätten beteiligt. Zu recht?
Seibt: Der Bund kann natürlich immer noch dazuschießen. Es ist aber ein gutes Prinzip des Föderalismus, dass der Bund nur zuschießt, wenn die Länder ebenfalls Leistungen erbringen. Insofern ist das so ein Hin- und Herschieben, dass am Ende nicht so wahnsinnig viel bringt. Ich bin sehr dafür, dass der Bund sich beteiligt. Aber man kann dann auch fragen: Wenn sowieso alles am Bund hängt, wozu braucht es dann eigentlich noch das Land Sachsen-Anhalt?
Sie haben nun vorgeschlagen, Sachsen-Anhalt aufzulösen.
Seibt: Ja, denn man muss am Ende doch fragen: Wie notwendig ist eine Landesregierung dieses Umfangs mit allem Drum und Dran - Ministerpräsident, Kabinett, Landtag, Spitzenbeamten, Landesvertretung in Berlin, Landesvertretung in Brüssel - für nur 2,3 Millionen Menschen, die auf einem Gebiet leben, das historisch zusammenhängend so nie bestanden hat?
Die nördlichen Teile von Sachsen-Anhalt gehörten zu den altmärkischen Kerngebieten Brandenburgs, die südlichen Teile zu den vielen kleinen Fürstentümern von Thüringen und Sachsen, Anhalt war seit dem 17. Jahrhundert ein Vorland von Preußen. Deshalb kann man das alles entweder zu Brandenburg schlagen oder man teilt es auf die historischen Gebiete im Umland des Bundeslandes auf. Man könnte viele Millionen einsparen, übrigens auch an künftigen Versorgungsansprüchen, wenn man auf diese Landesregierung verzichten würde und das damit gewonnene Geld einsetzt, um die in Jahrhunderten gewachsenen kulturellen Strukturen vernünftig auszustatten.
Was halten Sie von einem Bundesland „Mitteldeutschland“, also einem aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen gebildeten Land?
Seibt: Ein Bundesland „Mitteldeutschland“ wäre ein unhistorisches Gebilde. Zudem haben die Sachsen ein so starkes Eigenbewusstsein wie sonst in Deutschland nur die Bayern. Das sollte man auch respektieren. Die sollen für sich sein, denn das funktioniert ja in Sachsen auch gut. Man soll die Gebilde, die gut funktionieren, nicht künstlich auflösen wollen.
Bliebe die Frage: Wohin mit Anhalt?
Seibt: Ich würde Anhalt am Ende doch zu Preußen schlagen, also zu Brandenburg. Der Alte Dessauer war ein preußischer General, seit dem Großen Kurfürsten ist Anhalt als brandenburgisches Einflussgebiet behandelt worden. Der berühmte Fürst Franz, der Gründer des Gartenreiches, hatte riesige Latifundien in Ostpreußen und damit hat er sein Gartenreich zur Hälfte finanziert, wird heute vermutet. Also historisch gehört das eher zu Brandenburg als zu Sachsen.
Woran liegt es, dass es deutschlandweit so wenig Aufmerksamkeit gibt für das kulturelle Erbe zwischen Elbe und Saale?
Seibt: Das kann immer noch eine Folge der deutschen Teilung sein, dass also viele Leute in den westlichen Provinzen Deutschlands noch immer nicht Gelegenheit genommen haben, sich das Land durch Reisen und geschichtliche Erinnerungen zu erschließen. Andererseits mag es eben auch daran liegen, dass Sachsen-Anhalt keine historische Identität besitzt. In den vergangenen Jahren ist Magdeburg mit Otto dem Großen überregional sichtbar geworden. Aber sonst? Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich, das ich zu den schönsten Naturkunstwerken Deutschlands zähle, gewinnt an Besuchern, immerhin. Für Wittenberg wird sich etwas bessern, wenn 2017 500 Jahre Reformation gefeiert werden.
Auch das Bauhaus wird feiern. Und erhält in Dessau ein Museum.
Seibt: Ja, das Bauhaus. Das ist nicht unbekannt, aber es ist nur noch ein Begriff, der längst ortlos geworden ist. Man verbindet das nicht mit einem Bundesland. Man weiß schattenhaft, dass es einmal in Dessau saß, aber eigentlich ist das Bauhaus heute ein Weltbegriff.
Wie wäre das überregionale Aufmerksamkeitsdefizit für Sachsen-Anhalts Kultur auszugleichen?
Seibt: Einfach, indem man sie gut ausstattet. Aber: Es müsste auch etwas stattfinden. Nur einfach schön sein, reicht nicht. Denkmäler allein sind nicht genug. Die Leute kommen in größeren Mengen, wenn es eine tolle Ausstellung gibt. Oder so einen künstlichen Vulkanausbruch wie am Wörlitzer Stein. Das ist gut angelegtes Geld. Man muss diese Stätten leben lassen in ihren eigenen ästhetischen Möglichkeiten, dann werden die Leute das auch zur Kenntnis nehmen. Als Publikum reichen die 2,3 Millionen Sachsen-Anhalter nicht. Man muss als potenzielle Zielgruppe 80 Millionen Deutsche anzielen.
Was halten Sie von der Landes-Kampagne „Wir stehen früher auf“?
Seibt: Ich halte die für ganz albern. Denn das hat so etwas Schmallippiges. Wir arbeiten viel, wir sind ein bisschen streberhaft. Man assoziiert als Außenstehender auch sofort, dass dann auch die Bürgersteige recht früh hochgeklappt werden. Abends ist nicht besonders viel los, wenn man früh aufsteht. Es ist auch ein falsches Bild von Wirtschaft. Das frühe Aufstehen war nötig in Zeiten der Industrialisierung. Die heutige Produktivität beruht auf Ausgeschlafenheit. Das heißt, auf brillanten Einfällen, auf hoher Produktivität. Und möglicherweise auch auf verkürzten Arbeitszeiten. Also besonders attraktiv wirkt der Slogan für den Besucher jedenfalls nicht. Ich stöhne immer auf, wenn ich den an den Straßenschildern sehe und erinnere mich daran, wie oft ich vor verschlossenen Türen gestanden habe, bloß weil ich nach 17 Uhr irgendwo eingetroffen bin.
Sollten die Protestzüge gegen den Kulturabbau, die durch Halle, Dessau und Magdeburg gelaufen sind, künftig besser nach Berlin ziehen?
Seibt: Ja, wenn man genügend Leute auf die Beine bringt. Allerdings versendet sich das schnell in Berlin. Man müsste also genau wissen, wohin man da gehen will.
Zum Beispiel in die Landesvertretung von Sachsen-Anhalt.
Seibt: Ja, und dann könnte man fordern: Macht die Landesvertretung zu! Verwendet das Geld besser! Man muss das ja zur Kenntnis nehmen: Diese Landesvertretung kostet 1,6 Millionen im Jahr! Das ist eine Menge Geld. Und man fragt sich natürlich, wozu das nötig ist, wenn es Bundestagsabgeordnete des Landes Sachsen-Anhalt gibt, die ja sowieso in Berlin sind.
