1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Interview mit Jakob Arjouni: Interview mit Jakob Arjouni: Aggression liegt in der Luft

Interview mit Jakob Arjouni Interview mit Jakob Arjouni: Aggression liegt in der Luft

Von Elke Vogel 24.03.2011, 09:31

Berlin/dpa. - Sie erzählen in «Cherryman jagt Mr. White» von dem 18-jährigen Rick,der seinem tristen brandenburgischen Dorf entfliehen will, aber indie Gewalt einer Neonazi-Bande gerät. Gab es einen bestimmten Anlassfür Sie, diese Geschichte zu erzählen?

Arjouni: «Bücher fangen bei mir eigentlich nie mit der Geschichte an,sondern mit einer Frage, einer Sehnsucht oder Wut. Das ist gar nichtso bewusst. Das sind Themen, die mir in den Kopf kommen und michnicht mehr loslassen. In diesem Fall hat die Geschichte sicher vielmit meinem kleinen Sohn und meiner Angst um ihn zu tun. Ich denke,Autoren haben grundsätzlich die Neigung, sich immer auch denschlimmstmöglichen Ausgang einer Geschichte vorzustellen. Bei mir istdas nicht nur bei Geschichten so, sondern überhaupt im Leben. Dasheißt, ich stelle mir immer den Worst Case vor. Und Eltern sindohnehin dauernd voller Sorgen.»

Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit dem Leben auf dem Land undspeziell in Brandenburg gemacht?

Arjouni: «Meine Mutter stammt aus Belzig in Brandenburg. Als ich Kindwar, sind wir zu DDR-Zeiten zur Oma dorthin gefahren. Die Besuchewaren sicher prägend. Das war nicht schön. Wenn man als Kind dortnicht dazugehörte und das auch noch als Westler, dann war esschwierig. Dorfgemeinschaften sind in ihren Eingrenzungs-, aber vorallem Ausgrenzungssystemen brutal. Da ist es klein und überschaubar,jeder kennt jeden, dort kannst du nicht wegtauchen. Das hat nichtsmit dem Osten zu tun. Als Kind bin ich auch in einem Dorf inWestdeutschland aufgewachsen. Diese Systeme kenne ich von da wiedort.»

Ist der Roman also ein Stück weit autobiografisch? Immerhin verstehtsich Ihre Hauptfigur Rick auch als Künstler, er zeichnet mit HingabeComics.

Arjouni: «Es ist sicher der autobiografischste Text, den ich bishergeschrieben habe. Aber ich habe unter ganz anderen Umständen als Rickangefangen zu schreiben. Ich musste mich nicht aus irgendeinem Kaffwegdenken, aber trotzdem war mir die eine Welt zu wenig. Ich wolltenoch eine zweite. Als ich meinen ersten Krimi «Happy birthday,Türke!» geschrieben habe, war ich 19. Da habe ich mir eine Welterfunden, in der ich jemand war - und das macht Rick ja auch.»

Wie haben Sie für Ihren Roman recherchiert?

Arjouni: «Ich bin überhaupt keine Recherche-Autor. Die Wahrheit imLeben und die Wahrheit im Roman sind für mich zwei völligverschiedene Dinge. Aber wenn man aus Berlin raus will aufs Land, umKuchen zu essen oder spazieren zu gehen, kommt man nun mal nachBrandenburg. Ich bin da oft rumgefahren, habe Verwandte besucht, bindurch die Dörfer gelaufen und ich muss sagen, die Stimmung dort istmanchmal schon beeindruckend trostlos und misstrauisch. Aggressionliegt in der Luft. Das heißt nicht, dass einem da dauernd etwaspassiert. Aber es könnte etwas passieren. Natürlich ist diesesEmpfinden subjektiv. Ich kenne Leute, die mögen Brandenburg.»

Viele deutschsprachige Schriftsteller kreisen um die Befindlichkeitenihrer eigenen Generation. Sie sprechen trotz aller Leichtigkeit undallen Humors in Ihren Romanen auch immer gesellschaftspolitischeProbleme an. Spüren Sie so etwas wie einen aufklärerischen Auftrag,die Probleme der Gesellschaft zu benennen?

Arjouni: «Nein, überhaupt nicht. Für mich ist "Cherryman jagt Mr.White" eher ein Entwicklungsroman. Es geht um jemanden, der übermoralische Entscheidungen weiterkommt im Leben. Ich erzähle in meinenBüchern regelmäßig von Menschen, die in Entscheidungssituationenkommen, in denen es nicht mehr Gut und Böse gibt, sondern eigentlichnur noch Schlecht und noch Schlechter.»

Sind Sie ein politischer Mensch?

Arjouni: «Ich bin ein Mensch, der sehr daran interessiert ist, gut zuleben. Und daran interessiert, dass meine Kinder und die Menschen,die ich liebe, gut leben. Deshalb interessiert mich, wie diegesellschaftlichen Rahmenbedingungen für unsere Leben sind, also binich ein politischer Mensch.»

Das Ende des Romans ist blutig. Der Leser steht etwas vor einemmoralischen Dilemma. Hätte es für Rick auch eine andere Lösunggegeben als Gewalt? Wie kann man solche Biografien - auch die derJungs aus der Neonazi-Bande - verhindern?

Arjouni: «Wir brauchen viel mehr Jugendarbeit, viel mehrAnlaufstellen.»