In der Wunderkammer In der Wunderkammer: Stadtmuseum Wittenberg kann Sammlung wieder präsentieren

Wittenberg - Das Wittenberger Stadtmuseum war die erste Kultureinrichtung, die den großen Reformationsumbau im Vorlauf zum Jubiläumsjahr zu spüren bekam und die letzte, die davon profitierte. Fünfeinhalb Jahre lagen zwischen dem Auszug - zusammen mit der natur- und völkerkundlichen Sammlung Riemer - aus dem Schloss und der Wiedereröffnung jüngst im Zeughaus, sieht man vom Vor-Blick auf die sogenannten Kronjuwelen und das Stadtmodell ab, womit 2015 das Erdgeschoss freigegeben wurde.
Eine solch lange Zeit in der Versenkung ist Gift für ein Museum, das den Publikumszuspruch braucht. Die Freunde der Riemer-Sammlung spornte das zu kommunalpolitischem Kampfeswillen an, mit dem sie am Ende das Zugeständnis einer kompletten Etage, ein Drittel der Gesamtfläche, ertrotzten. Andererseits war die Atempause die Chance, das Material zu sichten und eine Konzeption zu erarbeiten, die veränderten Umständen Rechnung trägt.
Die Idee der „Kronjuwelen“ wird in Wittenberg umgesetzt
Wie hat man sie genutzt? Museumsdirektor Andreas Wurda verweist auf den Wissenschaftlichen Beirat. Der tagte seit 2010 ein paar Mal und empfahl im September 2011 die Erstellung einer Konzeption durch die Leipziger Historikerin Beate Kusche, eine Kursachsen-Expertin.
Einen Wettbewerb unter Museumsgestaltern gewann die Leipziger Design-Agentur „Kocmoc“ („Design das wirkt“). Sie hatten die Idee mit den „Kronjuwelen“ und haben nun auch ihren Entwurf sowohl der stadtgeschichtlichen Abteilung als auch der Riemer-Sammlung umgesetzt.
In der Stadt ist die Diskussion um das Ergebnis entbrannt, relativ verhalten im Fall Stadtgeschichte, dafür umso lauter bei Riemer. Die Kritik geht über spontane Publikumsreaktion hinaus. Es gibt viel Zuspruch, aber auch die Frage nach der Seriosität und dem Erkenntniswert der Präsentation, vor allem der Sammlung Riemer.
Auswahl des Gezeigten wirft noch Fragen auf
Nun da das Haus komplett ist, stellen sich aber ähnliche Fragen auch bei dem bekannten Teil neu, also den um das Stadtmodell angeordneten „Kronjuwelen“. Was selbstironisch gemeint war und anhand bedeutsamer und zugkräftiger Stücke Interesse wecken wollte, wirkt vier Jahre später statt frisch oder überraschend nur noch willkürlich.
Es heißt, die Auswahl beruhe auf einer Umfrage-Aktion, doch ehrlicherweise muss man sagen, dass die Resonanz bescheiden war. Die Lobby der Riemer-Freunde ist mit dem Giraffenpräparat unübersehbar, das wie ein Schutzpatron über dem Stadtmodell thront.
An diesem Meisterwerk der Modellbaukunst mag man sich dank liebevoll ausgeführter alltagslebendiger Details kaum sattsehen. Aber es lässt ohne Not Fragen offen. Andreas Wurda würdigt im Gespräch die Leistung einer 17 Jahre währenden Arbeitsmaßnahme für Menschen mit Behinderung, die das Modell schufen und dabei über sich hinauswuchsen.
Doch weder die „Medienstation“ noch die erklärenden Faltblätter (jeweils für „Klassiker“, „Kunstsinnige“, „Weltenbummler“ und auch Kinder) lassen sie zu Wort kommen, die doch auch Akteure von Stadtgeschichte sind. Ohne jede Erklärung macht das Modell einen Schnitt im östlichen Teil, als gäbe es kein Lutherhaus und Elstertor. Nun, die Maßnahme lief aus.
Gezeigt wird Wittenberg zur Preußen-Zeit
Dargestellt ist die Stadt zur Preußenzeit (konkret das Jahr 1873 vor der Schleifung der Wallanlagen). Eine explizite Erklärung gibt es nicht, warum nicht das Wittenberg der Reformation und damit der Weltgeschichte hier seinen Auftritt hat. Es wird aber deutlich, dass die Preußen sehr viel genau vermessenes Material hinterließen. Doch um über ihr Wirken seit 1816 Näheres zu erfahren, muss man in die Stadtgeschichtsetage hinaufsteigen.
Dort wird man die Epoche in einen Ablauf eingebettet finden, nämlich im Laufen gesenkten Hauptes entlang labyrinthisch aneinandergereihter Vitrinen. Es soll bald mehr „Medienstationen“, Beleuchtung und Exponate geben.
Bis jetzt aber sind Sinnesreize, die den Marsch entlang der Vitrinen pointieren, eher schwach ausgeprägt. Man schreitet die Chronologie ab - durchaus mit Interesse und versorgt mit Daten zu Ereignissen und Akteuren -, aber die Gleichförmigkeit macht Höhepunkte, sprich Weltgeschichte, kaum kenntlich: Die „Hand der Giftmischerin“ bekommt eine Vitrine und der Schmalkaldische Krieg genauso.
Die universitäre Forschung, namentlich das Projekt „Ernestinisches Wittenberg“, hat kaum Niederschlag gefunden. Beispiele: Lucas Cranachs Investitionen in Häuser, sein Einfluss als Stadtrat auf die Entwicklung des Marktplatzes; Bau und Nutzung des Schlosses; die Blüte des Druck- und Buchgewerbes über den hier einzig genannten Hans Lufft hinaus.
Begleittexte zeigen noch Mängel
Die am Projekt beteiligte Wittenberger Kunsthistorikerin und Stadträtin Christiane Hennen spricht von erheblichen Mängeln an den Texten. Für sie ist erkennbar, dass der von „Kocmoc“ beauftragte Historiker das Kusche-Konzept weniger umgesetzt als verweigert hat. „Ein neuer wissenschaftlicher Beirat ist jetzt unbedingt nötig“, sagt sie.
Ähnliches gilt wohl für die Riemer-Sammlung. Der Berliner Ethnologe Nils Seethaler, der den Freundeskreis ehrenamtlich bei der musealen Neupräsentation unterstützt, spricht von dem großen, aber jetzt kaum erkennbaren Potenzial von Julius Riemers Vorkriegs-Sammlung ausgestopfter Tiere und außereuropäischer Kultgegenstände.
Diesem Thema kann nur ein gesonderter Artikel gerecht werden. Der Freundeskreis jedenfalls ist mit dem jetzt gezeigten Quasi-Schaudepot, der Überfülle an Exponaten in historischen Vitrinenschränken, alles andere als glücklich. „Das alles“ sagt Seethaler, „kann nicht das letzte Wort sein.“
Wittenberg, Zeughaus auf dem Arsenalplatz, Di-So 9-17 Uhr
(mz)