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Hofgesellschaft Hofgesellschaft: Sex im Grunewald - ein wilhelminischer Skandal

Von Haiko Prengel 20.09.2010, 09:03

BERLIN/DPA. - Ob Kurfürst oder König: Zum Jagen ging man insJagdschloss Grunewald, das war über Jahrhunderte so. Fast allepreußischen Herrscher ritten von dort zur Sauhatz oder Parforcejagdnach Hirschen aus. Kaum bekannt war bislang, dass das älteste nocherhaltene Berliner Schloss der feinen Hofgesellschaft auch alsSwingerclub diente: in der prüden Zeit unter Kaiser Wilhelm II.

In seinem Buch «Skandal im Jagdschloss Grunewald» enthüllt derHistoriker Wolfgang Wippermann jetzt das «schmutzige» Treiben in demRenaissance-Bau mit seinen schweren Folgen. Die wilde «Sex-Party» desHochadels wuchs sich nämlich bald zu einer handfesten politischenAffäre aus, in die sich der deutsche Kaiser höchst persönlicheinzugreifen genötigt sah.

Alles begann im Januar 1891 nach einer harmlosen Schlittenfahrt.15 Teilnehmer der wilhelminischen Hofgesellschaft, darunter engeVerwandte des Kaisers, veranstalteten im Anschluss im SchlossGrunewald ein rauschendes Fest. Dabei kam es offenbar zu sexuellenHandlungen, die zur damaligen Zeit nicht nur arg verpönt, sondernteils verboten waren: Anal- und Oralverkehr sowie sonstige sexuellePraktiken, «welche von Frauen ausgingen und von Männern untereinanderausgeübt wurden», wie Wippermann in seinem Buch erläutert.

Außereheliche Beziehungen von Damen galten damals als unehrenhaftund «krank», männliche Homosexualität stand unter strenger Strafe.«Über die Freizügigkeit der Teilnehmer mit ihrer nach außen prüdenprotestantischen Moral war ich selbst ziemlich überrascht», sagt der65 Jahre alte Historiker.

Aufgestöbert und recherchiert hat Wippermann die obszönen Detailsin zufällig aufgetauchten anonymen Briefen. In ihnen wurde dashetero- und homosexuelle Verhalten der Partygäste detailliertbeschrieben und angeprangert ­ wohl aus Eifersucht oder Missgunst.Unter den Teilnehmern der Orgie war unter anderem Charlotte, dieSchwester von Wilhelm II. Auch dessen Schwager Herzog Ernst Günthervon Schleswig-Holstein war dabei, wegen seiner zahllosenSexgeschichten bei Hofe auch «Herzog-Rammler» genannt. Schließlichmachte Leberecht von Kotze bei der Swingerparty mit, der als«weibischer Fatzke» verschriene Zeremonienmeister am Hofe von KaiserWilhelm II.

Zum öffentlichen Skandal wurde die schlüpfrige Party imJagdschloss, weil die Briefe bewusst publik gemacht wurden. «Balderfreute sich fast ganz Berlin an den gar nicht feinen Geschichtender so feinen Welt des Hofes», schreibt Wippermann in seinem Buch. Umnicht weiter desavouiert zu werden und den Verfasser der Briefe zufinden, schalteten die Adligen die Polizei ein. Die verdächtigte baldZeremonienmeister Kotze, wegen gefundener ominöser Löschblätter.Kaiser Wilhelm II. selbst ließ ihn daraufhin verhaften undeinsperren. Zum Entsetzen der Ermittler ging der Versand der anonymenBriefe aber weiter.

Der wahre Urheber ist bis heute unbekannt. Kotze wurde späterfreigelassen und erkämpfte sich seine «Ehre» in blutigen Duellenzurück und tötete einen Rivalen. «Die Reputation von Kaiser WilhelmII. und seines persönlichen Regiments wurde dagegen schwerbeschädigt», sagt Wippermann. Gesellschaftlich habe die sogenannte«Kotze-Affäre» aber Fortschritte gebracht: Strenge Maßstäbe wie«Sittlichkeit» für Frauen und die «Ehre» der Männer wurden zunehmendin Frage gestellt. Und nicht zuletzt erhob sich eine zaghafteSchwulenbewegung aus dem Skandal im Jagdschloss Grunewald.

Heute wird das malerische Anwesen im Südwesten Berlins als Museumgenutzt. Ausgestellt sind historische Jagdschwerter und Weidmesser,an der Außenfassade der Gemäuer hängen uralte Geweihe. Spuren von derlegendären «Sex-Party» der Hohenzollern sucht man vergebens.