Hilde Domin Hilde Domin: Eine Rose als Stütze
Mein Herze/ wir sind verreist - "Mein Herze, wir sind verreist", als Hilde Domin im Februar 2006 im biblischen Alter von 96 Jahren an den Folgen eines Sturzes stirbt, verliert die deutsche Literatur eine ihrer eigentümlichsten, zugleich streitbarsten Stimmen. Als Tochter einer gutsituierten jüdischen Familie 1909 in Köln geboren, verstummt an diesem späten Wintertag eine Dichterin, deren Leben von der Sehnsucht, dem Gefühl des Ausgeschlossenseins, von einem langjährigen Exil in Italien, England und Santo Domingo wie einer späten Erweckung für die Kunst geprägt sein soll.
Im Nachhinein waren die dominikanischen Jahre wohl die besten der Domin - dort lehrt sie an der Universität der Landeshauptstadt, übersetzt und redigiert; dem Inselstaat verdankt sie ihr künstlerisches Pseudonym. Erst 1954, 21 Jahre nach ihrer Flucht vor den Nazis, kehrt sie nach Deutschland zurück, lässt sich 1961 endgültig in Heidelberg nieder. Das folgende Jahrzehnt soll das fruchtbarste in der Biografie von Hilde Domin werden, neben den Gedichtbänden "Rückkehr der Schiffe" und "Hier" erscheinen die Streitschrift "Wozu Lyrik heute", der Roman "Das zweite Paradies". Auf steter Suche nach Anerkennung, mischt sie sich ein und eckt nicht selten an, leidet trotz der sich häufenden Auszeichnungen, des prominenten Zuspruchs am Gleichmut ihrer Geburtsstadt Köln.
Das Gedicht als Augenblick von Freiheit: Diesem Freischwimmen einer Autorin, deren Debüt in ihr fünfzigstes Jahr fällt, muss eine langwierige Prozedur der Findung und vor allem auch Überwindung von Widerständen vorausgegangen sein. Mit ihrem Mann Erwin Walter Palm lag Hilde Domin lange im Streit über ihre Verselbstständigung als Dichterin - allzu oft erblickte er in ihr die Schreibkraft für die Verwirklichung des Eigenen und bestand überdies auf Ferne und Abstand. Hilde Domin grämt das, sie bittet ihn inständig, sie als Schriftstellerin zu akzeptieren; auch dieser Kampf bleibt als Narbe in diesem an Verletzungen reichen Leben zurück. Domins erstes Buch "Nur eine Rose als Stütze" von 1959 spricht derweil bereits eine andere Sprache, gilt heute als klassisches Werk seiner Zeit und weist seiner Verfasserin den ihr gebührenden Platz innerhalb ihrer Generation zu.
"So sitze ich hier / hoch über dem Meer / blau grün fern / deinen Stift in der Hand": Marion Tauschwitz, die Hilde Domin in ihren späten Jahren als Sekretärin und Freundin begleitete, hat sich tief in diese Biografie eingefühlt, sie schildert eindringlich das gespannte Verhältnis der Eheleute Palm, ihre langandauernde räumliche Trennung wie das Bewusstsein, sich doch nicht lassen zu können. Hilde Domins späte Anerkennung, die Ehrenmitgliedschaft im Exil-Pen, das Bundesverdienstkreuz, die Verleihung des höchsten Ordens der Dominikanischen Republik an sie, hat Palm nicht mehr erlebt, er stirbt 1988. Eindringlich die Todesszene, Palm in den Armen seiner Frau, nun doch, mit ihr im Kuss vereint. Marion Tauschwitz kommt das Verdienst zu, das komplizierte und widersprüchliche Leben der Dichterin mit großer Verve und Detailliebe von den Anfängen bis zum zunehmenden Vereinsamen der nichtsdestotrotz wackeren Greisin zu schildern. In ihren letzten anderthalb Jahrzehnten kommt Hilde Domin der Status einer Art Gralshüterin der Sprache zu, sie ist unermüdlich auf Lesereise, beeindruckt durch die Strahlkraft ihrer Worte und durch ihren Glauben an die "Heimat Wort". Das helle klare Dennoch ihrer Gedichte findet Niederschlag in ihrem letzten Gedichtband: "Der Baum blüht trotzdem" erscheint im Sommer 1999 aus Anlass ihres 90. Geburtstags.
Tauschwitz bietet zudem eine Vielzahl an Fotos sowie einen glänzend gearbeiteten Kommentarteil. Etwas weniger Subjektivität und persönliche Nähe hätten dem Buch von Zeit zu Zeit nicht geschadet. Dennoch liegt mit ihm ein wichtiges Dokument zum Verständnis des Menschen und der Dichterin Hilde Domin vor, von dem ausgehend nun eine tiefere und nicht zuletzt eingehende wissenschaftliche Beschäftigung mit der neben Nelly Sachs und Rose Ausländer bedeutendsten Lyrikerin ihrer Generation angezeigt ist.