Hermann Hesse Hermann Hesse: Den eigenen Weg gehen
Halle (Saale)/MZ. - Um seinen heutigen 50. Todestag ist gerade ein medialer Superhype im Gange. Hermann Hesse ohne Ende. Richtig so! Denn da geht es ja um den unbestritten erfolgreichsten Autor deutscher Zunge. Ein Dichtergenius mit Bestseller-Gen. Was es im Poetenreich so nicht noch einmal gibt.
150 Millionen Auflage weltweit bisher. Und auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod ist kein Ende abzusehen. In Wellen, gewiss, aber doch war und ist er so populär wie kein anderer seines Metiers. Schrieb Bücher, die Generationen prägten. Wurde vor allem durch sein "Siddhartha"-Aussteiger-Epos (in Deutschland 3,7 Millionen Mal verkauft!) zum Pop-Idol der Hippies. Und vermag bis heute das, was Klassiker und Nobelpreis-Kollegen selbst zu Lebzeiten nicht schafften: Er wird gelesen!
Ein Selbststilisierer wohl auch, mit seiner Strohhut-Attitüde des weltabgewandten Gärtners aus Passion. Immer so ein bisschen verwundert, irgendwie außerhalb der Welt. So kennt man den 1877 als Sohn pietistischer Eltern im württembergischen Calw geborenen Hermann Hesse von unzähligen Fotografien. Doch der sich so bürgerlich inszenierende Mann in Bratenrock, Krawatte, Zigarre in der linken, den Gehstock in der rechten Hand, war hinter der Fassade im Grunde seines Wesens ein Rebell, ja Anarchist. Kategorischer Lebens-Imperativ: Frei sein!
Aus dieser Haltung heraus hatte der gelernte Turmuhrmechaniker und Buchhändler die Gabe, seine ganz persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse, ja, auch Träume, so in Prosa und Verse zu setzen, dass es jeder beim Lesen zu spüren, nachzuempfinden vermeint. Wer Hesse liest, der von 1904 an als freier Schriftsteller arbeitete, erlebt das Phänomen, sich wiederzufinden in Wünschen, Haltungen, Gedanken. Ein Dichter reinen Herzens war da am Werk, der genau deshalb wie magisch die Herzen erreicht. Zeitübergreifend und aus seiner Zeit heraus geradezu seherisch, wenn er so ganz heutigen Sehnsüchten der Menschen nachgeht. Die Zuflucht suchen vor den Zumutungen von Technik, Industrie, Medien, Bürokratie. Die sich daraus - vielleicht - einen Ausweg in der Natur erhoffen. Was heute heißt: "Landlust" statt Rousseau.
Die Unangepassten und die es gerne sein möchten, sind seine Seelenverwandten. "Born to be wild" rockte die US-Band "Steppenwolf", die sich nach dem 1927 veröffentlichten Hesse-Werk nannte, das die Krise des modernen Menschen schlechthin beschreibt, des einsamen Wolfes inmitten einer zerrissenen, nicht mehr durchschaubaren Welt. "Ich dachte: Wie kann der über mein Leben schreiben?", staunte Udo Lindenberg, "Ich meine, der kennt mich ja gar nicht. Aber ich sah diese Parallelitäten, hab mich darin total wiedergefunden." Dabei: Dem vermeintlich nahen Dichter wirklich nahe kommen? Schwierig.
Hesse, der von 1912 an in Bern in der Schweiz, ab 1919 in Montagnola im Tessin lebte, war auch als Berühmtheit allzugern für sich: "Mein Leben konnte mir gar nicht privat genug sein." Das schrieb er 1931 zum Einzug in die "Casa Hesse" in Montagnola, das erste und letzte ganz eigene Heim, das ihm zugeeignet war auf Lebenszeit von einem Mäzen und wo er heute vor 50 Jahren starb im Alter von 85 Jahren. Legendär das Schild am Gartentor "Bitte keine Besuche". Schon mehr als zwei Jahrzehnte zuvor hatte er in Verse gesetzt: "Seltsam im Nebel zu wandern. Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern. Jeder ist allein."
Doch auch das: "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne." Hesse hat ihn immer wieder erprobt. Mit der Art zu leben, mit Frauen, mit Wohnorten. Doch einer Gegend ist er bis zum Lebensende treu geblieben: dem Tessin. Inmitten der verschwenderisch schönen Licht-Landschaft um den Lago Maggiore und den Luganer See.
Dort trifft man in diesen Tagen Hesse-Verehrer zum Beispiel auf dem "Monte Verità" oberhalb von Ascona. Diesen "Berg der Wahrheit" hatte Anfang des vorigen Jahrhunderts ein buntes Völkchen für sich entdeckt. Naturpropheten, Nudisten, Rohköstler fanden sich hier ein. Auch Hesse übernachtete hier im Freien, ernährte sich von Beeren und Nüssen. Ein asketischer Typ mit durchgeistigtem Habitus. Genauso hätte man ihm damals hier begegnen können - nackt. Denn wie seine Mitbewohner bewegte sich Hesse gerne hüllenlos unter rauschenden Bäumen.
"Ich lebe nackt und aufmerksam wie ein Hirsch…, bin rotbraun und schlank, habe verfeinerte Sinne", notierte der Dichter. Doch dann zog er sich doch lieber wieder an. Denn das Reich der Seligen blühte ihm hier nicht. Da sah Naturfreak Hesse ganz klar. Über seine esoterischen Mitbewohner ätzte er später: "Die meisten dieser in Europa und Amerika entgleisten Menschen trugen als einziges Laster die so vielen Vegetarierern eigene Arbeitsscheu mit sich."
Den eigenen Weg gehen, frei sein - darum geht es! Dem Schriftsteller und seinen Lesern. Dass Kritiker spöttelten über die angeblichen "Kinderverse", seine Blumensprache, die "strohhuthafte Heiligkeit" - es hat ihn nicht abgebracht von seinem Tun und Leben.