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Herbert Grönemeyer Herbert Grönemeyer: Popmusik statt Botschaft

Von Steffen Könau 18.10.2012, 18:31
Der Sänger und Musiker Herbert Groenemeyer singt in Hamburg nach der Verleihung des Deutschen Radiopreises auf der Buehne. Musiker Herbert Grönemeyer will seine Werke kuenftig staerker in Grossbritannien, wo er seit 1998 lebt, präsentieren. (ARCHIVFOTO: DAPD)
Der Sänger und Musiker Herbert Groenemeyer singt in Hamburg nach der Verleihung des Deutschen Radiopreises auf der Buehne. Musiker Herbert Grönemeyer will seine Werke kuenftig staerker in Grossbritannien, wo er seit 1998 lebt, präsentieren. (ARCHIVFOTO: DAPD) dapd

Halle (Saale)/MZ. - Er kann die Sprache wechseln, bleibt aber unverwechselbar. Herbert Grönemeyer, spätestens seit seinem Album "Mensch" unumschränkter Alleinherrscher auf dem deutschen Pop-Thron, hat es trotzdem wieder getan. 16 Jahre nach seinem letzten fremdsprachigen Versuch mit einer komplett übertragenen Version des Albums "Luxus" singt Herbert Grönemeyer wieder englisch: "I Walk" heißt der Nachfolger des letztjährigen Erfolgsalbums "Schiffsverkehr", den Grönemeyer am Freitag auf seinem eigenen Label Groenland veröffentlicht.

Ich gehe also. Ein Abschiedsgruß? Nein, eher eine Rückkehr, denn noch ehe aus dem Schauspieler Herbert Grönemeyer anno 1979 mit dem ersten selbstbetitelten Album ein Deutschrocker wurde, debütierte Grönemeyer mit einer Schallplatte namens "Ocean", auf der der 22-Jährige begleitet von einem Jazzrock-Ensemble ausschließlich englisch sang.

Grönemeyer sah sich schon damals stets mehr als Musiker, dem Melodien zufliegen, dem es aber schwerfällt, seinen Songs Inhalte zu geben. Die Musik kommt von selbst, irgendwo, irgendwann. Grönemeyer ist dann von spontanen Einfällen oft so begeistert, dass er sich ans Klavier setzt und die drei frischen Takte immer wieder vor sich hin klimpert, stundenlang. Dabei singt er anstelle der noch nicht vorhandenen deutschen Texte das, was im Musikerslang "Arbeitsenglisch" heißt. Grönemeyer nennt es etwas poetischer "Bananen-Englisch".

"I Walk", das 13 Stücke umfasst, ist anders. Hier werden Klassiker mit englischen Texten versehen, die mehr Nachdichtung als Übersetzung sind. Obwohl "Airplanes in my head" sehr nach paralleler Übertragung klingt. Eine Ausnahme. Grönemeyer, der seit Ende der 90er in London lebt, ist bestrebt, der Stimmung und den Sinn seiner im Deutschen vor allem wegen ihrer Inhalte so erfolgreichen Stücke in die Pop-Weltsprache zu übertragen, auch wenn er dabei vom Wortsinn ablassen muss. "Deine Zeit" vom Album "Schiffsverkehr" erklingt hier als "Before the morning", "Erzähl mir von morgen" heißt nun "The Tunnel". Die im Original beklemmend verschlüsselten Anfangszeilen von "Mensch" schließlich weichen einem sprachrhythmisch gleichen Nachbau, der auf die Vieldeutigkeit der Vorlage rundheraus verzichtet. Statt "momentan ist richtig, momentan ist gut" singt Grönemeyer "every second has a reason, as the time slides away". Ins Deutsche zurückübersetzt soviel wie "jeder Moment hat seinen Grund, derweil die Zeit verrinnt".

Schachtelsätze im fremden Idiom, von der unverkennbaren Knödelstimme mit unüberhörbarem kantigem Akzent selbstbewusst vorgetragen. Die Musik darunter ist identisch mit dem Original, sie klingt allerdings bei "Mensch", als hätten Grönemeyer und sein langjähriger Soundvertrauter Alex Silva sie vorsichtig renoviert: Das Schlagwerk hört sich leiser an, die Keyboardläufe dagegen wirken dominanter.

Das Lied bleibt ein Wurf, gerade weil es in dieser Version nicht die Emotionen mitschleppt, unter deren Last die deutsche Version immer versucht ist, in Tränen auszubrechen. Der Krebstod des älteren Bruders, das Sterben von Ehefrau Anna, die Flutkatastrophe, der spontane Anruf des von all den Schicksalsschlägen noch völlig zerstörten Grönemeyer im Dessauer Rathaus und seine nachfolgende Spende einer halben Million Euro. Weggewischt. Aus dem Lied mit der herzzerreißenden Message "Der Mensch heißt Mensch, / weil er irrt, / weil er kämpft" wird ein Stück pure, zapplige Popmusik.

Popmusik statt Botschaft. Genau das ist es, was Herbert Grönemeyer will. Nicht den Durchbruch in den USA, wie damals mit den steif übersetzten Versionen von "Chaos" und "Luxus". Nicht die Eroberung Großbritanniens, obwohl er Ende des Monats im legendären Londoner "Roundhouse" ein Konzert zur Plattenveröffentlichung spielen wird. "In Deutschland konzentriert sich die Wahrnehmung meiner Songs stark auf die Songtexte", sagt er, "wenn ich auf Englisch singe, blühen die Stücke ganz neu auf - die Musik rückt in den Vordergrund, die Farbe des Gesangs".

Die ist auf diesem - alle übersetzten und remixten Werke mitgezählt - 20. Studioalbum des gebürtigen Göttingers in der Tat bunter als gewohnt. Und das nicht nur wegen der weltläufigeren Atmosphäre, sondern auch wegen der kleinen, aber von großem Pop-Geschmack kündenden Gästeschar, die Grönemeyer sich ins Studio eingeladen hat. Da ist einmal der schräge Kammerrock-Star Antony Hegarty von Antony and the Johnsons, der bei "Will I ever learn", einem von drei ganz neuen Liedern, vibratoreich mit Grönemeyer im Duett singt. James Dean Bradfield von den Manic Street Preachers spielt bei "To the sea" ("Zum Meer") Gitarre und in einer zweiten Version von "Mensch", die das Album beschließt, tritt dann auch noch Bono Vox ans Mikrophon und schluchzt "I miss you". "Mensch" klingt auf einmal, als wäre es eine Hymne seiner Band U2.

Grönemeyer spielt am 11.November ein Konzert im Leipziger Haus Auensee. Der Abend ist bereits ausverkauft. Am 31. Oktober hält Grönemeyer in Leipzig eine Poetikvorlesung, kostenlose Anmeldung per Mail: [email protected]