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Helmut Newton Helmut Newton: «Ich habe mich durchs Mittelmeer gevögelt»

Von Margit Boeckh 12.11.2002, 21:05
Star-Fotograf Helmut Newton
Star-Fotograf Helmut Newton dpa

Halle/MZ. - Eine Aufnahme vom Berliner Funkturm, schwarz-weiß, schon dynamisch schräg ins Bild gesetzt - das ist das allererste Foto des Helmut Newton, der damals noch Helmut Neustedter hieß und gerade zwölf Jahre alt war. Ohne Mühe lässt sich dem schlichten Schnappschuss auch noch eine Assoziation zur Phallus-Symbolik entnehmen. Und schon ist der direkte Bezug gegeben zu dem, was das Leben des jetzt 81-Jährigen prägte: Fotografieren, Frauen, Sex.

Von (fast) nichts anderem handelt denn auch Newtons Autobiographie, die seine Frau June, mit der er seit 54 Jahren verheiratet ist, nach Tonbandmonologen "zu einem Manuskript zusammengeflickt" hat, wie er lax kommentiert. Diesen Schnodderton nimmt auch das Buch auf. Nichts Literarisches, vielmehr ein sachlich aufgelisteter Bericht von allerdings aufregenden Lebensstationen: den Jugendjahren in Berlin, der Lehrzeit bei der Modefotografin Yva, der Emigration über Singapur nach Australien, der Karriere mit Jet-Set-Appeal.

Newton ist ein Mann der Kamera, nicht des Wortes und bekennt sich im übrigen zu "angeborener Oberflächlichkeit". Tiefsinnige Reflexionen sind also nicht zu erwarten. Und prompt hatte ja auch ein britischer Verlag das Werk abgelehnt mit der Begründung "Zu viel Sex - zu wenig Holocaust". Denn seine jüdische Herkunft behandelt er selbstverständlich und nicht etwa bekenntnishaft. "Ich bin kein Antisemit. Es hat mich auch nie gestört, Jude zu sein", ließ er verlauten. Und: "Ich werde nie vergessen und vergeben. Aber ich finde, die Deutschen sind die Einzigen, die sich ernsthaft mit ihrer Vergangenheit konfrontieren."

Bei Neustedters in Berlin - Besitzer der größten deutschen Knopffabrik - feierte man Weihnachten, nicht Chanukka und Sohn Helmut ging auf ein als stramm nationalsozialistisch geltendes Gymnasium. Doch nachdem der Vater ("Er war einer der Juden, die deutscher waren als die Deutschen") von den Nazis verhaftet worden war, floh der Sohn 1938 mit dem Schiff nach Singapur und vermerkt lakonisch über die Zeit an Bord "Ich vögelte mich durchs Mittelmeer".

Die Eltern konnten 1939 nach Südamerika auswandern. Helmut Newton startete 1946 in Melbourne mit einem "klitzekleinen Studio" seine Karriere, die ihn mit den Inszenierungen kühler Erotik zum Erfinder des Porno-Schick und weltberühmt werden ließ. Wie das so ging und wie der verwöhnte Junge mit dem angeborenen Sinn für Luxus sich einpasste in die Welt der Schönen und Reichen, das liest sich amüsant und frappierend ehrlich. Denn Newton mag ein Snob sein, aber keiner von der Sorte, die behauptet, nur um der Kunst willen zu arbeiten: "Ich verdanke meinen Erfolg der Welt des Kommerzes. . . und nicht irgendwelchen Stiftungen oder Museen."

Das hört sich genauso ehrlich an wie die Selbstcharakterisierung: "Ich bin nicht sentimental, romantisch. Ich bin ein bisschen kaltschnäuzig, wie die meisten Berliner." Aber: Das Foto seiner ersten Liebe hat er offensichtlich über fast sieben Jahrzehnte getreulich aufbewahrt. Jedenfalls ist es abgedruckt, auf Seite 56 im Buch.

Helmut Newton: "Autobiographie", Bertelsmann Verlag, 335 Seiten, 24,90 Euro.