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Live-Comeback Heinz Rudolf Kunze gibt Vollgas nach der Vollbremsung

Heinz Rudolf Kunze ist einer der Klassiker des Deutschrock, ein Einmischer und Hitlieferant zugleich. Vor dem Start seiner Deutschlandtour in Halle am Samstagabend freut sich der 65-Jährige auf die Bühne und eine neue Normalität - und er wettert über Genderwahn und Meinungsfeigheit.

Von Steffen Könau Aktualisiert: 23.04.2022, 11:40
Heinz Rudolf Kunze bei den Proben in Halle.
Heinz Rudolf Kunze bei den Proben in Halle. Foto: Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Es war nie besser als in diesem März vor zwei Jahren. Heinz Rudolf Kunze denkt mit einem warmen Gefühl an die letzten Tage der alten Zeit zurück, die ihn so nahe an die Spitze der Hitparaden führten wie noch nie zuvor. „Platz 3“, sagt Kunze, „so hoch war ich zuletzt 1991 mit meinem Album ,Brille’“.

Dass sein 24. Studiowerk namens „Der Wahrheit die Ehre“ pünktlich zum 40. Jubiläum sogar erfolgreicher abschnitt als Kunzes Gassenhauer-Platte „Dein ist mein ganzes Herz“, stimmte den Texter, Sänger und Gitarristen mit Blick auf die anstehende Tour euphorisch. Wie ein König habe er sich gefreut, erinnert sich Kunze heute. „Und wir waren wild drauf, auf die Bühne zu gehen.“

Stattdessen folgt die Corona-Vollbremsung. Kunzes Tourpläne verwehen im ersten Lockdown. „Kurz vor dem Start fiel der Vorhang.“ Kunze, der seine Karriere 1980 bei einem Nachwuchsfestival begonnen hatte, erinnert sich an einen „Schlag ins Genick“ für alle in seinem Umfeld, die für den Erfolg gearbeitet hatten.

Sieben Monate daheim

„Wie alle Kollegen saß ich sieben Monate daheim, ehe ich dann wenigstens wieder kleinere Solo-Auftritte absolvieren durfte.“ In Erinnerung geblieben sind Kunze davon vor allem die absurden Umstände mancher Show. „Im Saal saßen die Leute mit Mundschutz zehn Meter auseinander und in den Kneipen vor der Tür umarmten sie sich ohne.“

Abenteuer in Absurdistan mit zeitweise zwei Auftritten am Tag, weil ein einziger sich einfach nicht gerechnet hätte. „Ich war dreieinhalb Stunden auf der Bühne, aber dankbar, dass ich den Kontakt zum Publikum nicht ganz verloren habe.“

Beschädigtes Vertrauen

Nur sein Vertrauen in die Politik, das habe gelitten, sagt Kunze. „Ich bin empört über die schlechte Behandlung der Kultur.“ Die ziehe mangels wirkmächtiger Lobby meist das kürzeste Streichholz, werde „stets als erstes in die Pfanne gehauen und immer mit anderem Maß gemessen als etwa der Profifußball“.

Heinz Rudolf Kunze ist nicht einmal so sehr bange vor den verheerenden Spuren, die das in seiner Branche hinterlässt, bei Bands, Musikern, Veranstaltern, in Theatern bis hin zu den technischen Dienstleistern. „Die Schäden, die der Mangel an kultureller Versorgung in der Bevölkerung haben wird, werden wir erst in zehn, 20 Jahren sehen“, befürchtet der studierte Germanist, der neben Grönemeyer, Niedecken und Maffay als einer der Klassiker des deutschen Rock gilt, der sich immer auch gesellschaftlich eingemischt hat.

Mit Mitte 20 spielte Kunze das Album „Ausnahmezustand“ ein, darauf war auch ein Lied mit dem Titel „Halten Sie Abstand“. Gedankenspiele damals, inspiriert vom Klang von Worten. „Es ging beim Abstand nicht um Gesundheitsschutz, sondern um die soziale Kälte“, erklärt er.

Dreieinhalb Jahrzehnte später wurde der Ausnahmezustand dank Pandemie und russischem Überfall auf die Ukraine auf einmal Realität. „Und ich glaube nicht, dass wir jemals zurückkommen in die alte Normalität“, sagt der 65-Jährige, „es werden uns allen Narben bleiben.“ Ihn wundere heute niemand mehr, der nachts nicht schlafen könne, auch wenn er selbst das noch nie gut gekonnt habe. „Nur auf Tour im Hotel, da geht es.“ Sein Arzt habe ihm deshalb einfach geraten: „Herr Kunze, dann gehen Sie mehr auf Tour.“

„Dann gehen Sie mehr auf Tour“

Also los. Zwei Dutzend Auftritte bis Ende Mai stehen in Kunzes Kalender, seit Anfang der Woche haben er und seine Band in der halleschen Händelhalle für das Premierenkonzert einer Konzertreise geprobt, die so heißt, wie sie vor zwei Jahren heißen sollte: „Der Wahrheit die Ehre“.

Doch zur Wahrheit gehört nun, dass es nicht dasselbe sein wird. Die Welt hat sich weitergedreht. Musik hat mehr noch als früher auch therapeutischen Charakter. „Dein ist mein ganzes Herz“, „Finden Sie Mabel“ und „Aller Herren Länder“, die großen Kunze-Hits, sie sind Medizin nach Noten für die Fans und ein Ausgleich zur Schreibarbeit für den Mann am Mikrofon, dem die Feder in der verordneten Absonderung „zum Glück nie“ eingetrocknet ist.

Ein fahrender Sänger immer noch: Kunze
Ein fahrender Sänger immer noch: Kunze
Foto: DPA

Ganz im Gegenteil. Kunze hat im Lockdown geschrieben wie noch nie. Er sei geradezu explodiert vor Einfällen, sagt er. 650 Texte kamen im ersten Corona-Jahr zusammen. „Das sind mehr, als ich in meinem ganzen Leben bisher veröffentlicht habe.“

Alles nur eine Frage der Zeit und der Gelegenheit, denn von besonders ereignisreichen Monaten konnte im Lockdown auch bei Kunzes im Hannoveraner Umland nicht die Rede sein. „Meine Frau und ich, wir lesen gern, wir hören viel Musik und wir schauen Filme, daran hat sich nicht so viel geändert.“ Die Sichtweise auf die Beschränkungen mache den Unterschied: „Wir sind keine Partypeople, wir leben sehr zurückgezogen“, sagt Heinz Rudolf Kunze. Das Problem sei, dass zu Hause bleiben zu dürfen etwas völlig anderes sei als zu Hause bleiben zu müssen.

Ein Werdegang in Liedern

So ist Kunze immer noch: ein scharfzüngiger Formulierungskünstler, der Zeitzustände in wenigen Worten auf den Punkt bringt. Das Album „Werdegang“, auf dem er sein 40. Karrierejahr feiert, indem er seine Lieder in die Hände junger Produzenten gab, zeigt den Sohn einer nach Kriegsende vertriebenen Familie als experimentierfreudigen Künstler, der lieber im Labor zugange ist als im Elfenbeinturm zu sitzen. Der Sound mag anders sein, das Tempo auch. Aber die Essenz von „Dies ist Klaus“ und „Leg nicht auf“ hat die Erfrischungskur überlebt.

Die Arbeit mit den jungen Leuten beschreibt Kunze als „sehr respektvoll“ bis hin zum Lob an ihn, es sei doch sehr angenehm, mal mit jemandem zu arbeiten, der wirklich singen könne. Er selbst habe alle Türen aufgemacht und gefordert, keine Rücksicht zu nehmen. „Sie sollten so aufnehmen, wie sie die Lieder hören.“ Die Originale aus den 80ern und 90ern gebe es schließlich schon.

Freifahrtschein für Nachwuchs

Über die Ergebnisse hat Kunze gestaunt. Manche Neuinterpretation klinge mehr nach früher als sein Original, sagt er und lacht. Aus Countryrock Marke Tom Petty wurde Pop, aus dem Pathos von „Dein ist mein ganzes Herz“ etwas, das Kunze „Mallorca-Ballermann“ nennt. Er kann über sich selbst lächeln. „Ich habe allen einen Freifahrtschein gegeben und mich gefreut, dass der genutzt wurde, denn das war ja Sinn der Übung.“ Ein Lied wie „Aller Herren Länder“ sei nun sogar endlich geworden, wie es schon immer sein sollte. „Es hätte jetzt keine Chance mehr im Radio.“

HRK spielt gern auch mal Klavier
HRK spielt gern auch mal Klavier
Foto: Andreas Stedtler

Mut haben, nicht mit der Masse trotten. Wenn Kunze sich umschaut, ist es das, was ihm am meisten fehlt im aktuellen Geschäft. „Ja nichts mehr sagen, bloß keine Fehler machen“, sei bei vielen jungen Kollegen die Devise. „Sonst wirst du durch die soziale Medienmaschine gedreht.“

Gendern gegen Gerechtigkeit

Aus der hält sich Heinz Rudolf Kunze weitgehend heraus, wenn er auch etwa beim Thema Gendern gern und mit Nachdruck in jeden Fettnapf tritt. „Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wie ich zu sprechen habe“, zürnt er über die Versuche, ihm sein Handwerkszeug kaputtzumachen, die Sprache nämlich. „Das Gendern wird ja nicht genutzt, um Gerechtigkeit und Toleranz herzustellen, sondern um Gesinnung zu prüfen und Terror auszuüben.“ Zu hören, wie eine Pfarrerin beim „Wort zum Sonntag“ von „Jesus und seinen JüngerInnen“ spreche, tue ihm geistig und körperlich so weh wie Eric Clapton ein falscher Ton aus der Gitarre. „Jesus hatte nun mal keine weiblichen Jünger.“

Mehr Infos: Kunzes Internetseite und Tickets für die kommenden Konzerte

Heinz Rudolf Kunze mag keine Prediger, keine Ermahner und Belehrer, aber auch keine Schweiger und Leute, die im Wohnzimmer jammern. Er „macht Musik“, wie er einst ein Album nannte, doppeldeutig mit großem „M“ für die Macht, an die er glaubt. Lieder können Leiden lindern, Wunden schließen und Narben für ein paar Augenblicke vergessen lassen. „Ich freue mich, dass es wieder losgeht“, sagt Kunze, „und ich hoffe, dass die Leute den Mut haben, mir ein paar Gesichter zu zeigen“.