Heinz Rudolf Kunze Heinz Rudolf Kunze: Böse Lieder von bestürzenden Altbauten

Halle/MZ. - Immer noch der alte, zornige junge Mann. Immernoch der zynische Aphorismen-Sprudler; intellektuelleTiefbohrer im Popland, sägezahnfletschendvor eisigem Sarkasmus. In seinem selbstgebautenKlärwerk sprüht Kunze vor Zorn. Was hier läuft,ist nicht mehr zum Lachen. Kein Blatt mehrvor den Mund! Kein Liebeslied mehr als Polstervor die harte Realität! Seit zwei Jahrzehntenschon probt er den Spagat zwischen Mehrheitspositionenauf dem Musikmarkt und scharfzüngiger Originalität.Ein Spreizschritt, der den 46-Jährigen zusehendsschmerzt. Zwar ist sein popmusikalisches Werknach wie vor nicht unwesentlich erfolgreich.Mit seinem Hang aber, komplexe Zusammenhängein das beschränkte Melodiemaß von Rocksongspressen zu wollen, stand er dem kommerziellenAufstieg irgendwann doch selbst im Wege.
Nun also wieder die Nische zwischen Hüschund Home Recording, wo ihm seit den beidenseltsamen Epen "Sternzeichen Sündenbock" und"Golem aus Lemgo" ein Plätzchen reserviertist. Auch "Wasser bis zum Hals steht mir"ist wieder ein wortlastiges Album geworden.21 Jahre nach seiner ersten Tour als klavierspielender"Niedermacher" liefert HRK obskure Ambientklänge,Stammtischgetuschel und Hörspielsound.
Böse Lieder ohne Musik, Gesang ohne Geräusche."Es war ein lang gehegter Wunsch, den Leutenetwas klanglich-sinnlich-akustisch-musikalischesanzubieten", beschreibt Kunze. Man solle dasGefühl haben, "dass sich auch gesprocheneSprache sehr musikalisch in einen Ablauf einpassenkann."
Ein Anspruch, den "Wasser bis zum Hals stehtmir" mit Elektronikgefrickel und Hiphop, rasantenRezitationen und Ausflügen ins Liedhafte einzulösenversucht. Kollagen werden aneinandergereiht,Mischtechniken probiert, Versstrukturen aufgerissenund mit Klängen abgefüllt. "Ich winke / ichertrinke nicht", ruft Kunze dann, "Wasserbis zum Hals steht mir." Ein Jahrzehnt nachKunzes erstem Anlauf, die Sprechtexte zureigenen künstlerischen Form zu bündeln, istdie Musik allerdings auch auf diesem Albumauf dem Vormarsch, der reine Textvortrag hingegenkaum noch zu vernehmen. Eher unauffällig klopftder Vielarbeiter Worte auf doppelte Bedeutungenab, bildet er Sinn durch überraschenden Gleichklang.
Immerhin: Zorn und Zoten, mit denen Kunzeals "Klärwerker" auf Lesetour war, sind verflogen,milde Verachtung für Jugendwahn und Deutschtümeleiregieren. Ein Album ohne Tagespolitik, abermit viel Atmosphäre. Ohne Alltagsbeobachtungen,aber mit Lebensweisheit. "Wir sind nicht dieEinstürzenden Neubauten, aber die bestürzendenAltbauten", sagt Kunze über sich und seinTeam.