Hedwig Bollhagen Hedwig Bollhagen: Das sind doch alles bloß Töppe!
Potsdam/MZ. - Überreichte die Bollhagen eine selbstgemachte Vase, fiel immer dieser eine Vers: "Vase! - Und wenn 'se fällt, dann war 'se".
Bloß kein Pathos! Keine Sentimentalitäten! Darin war Hedwig Bollhagen, 1907 als Tochter einer großbürgerlichen Arztfamilie in Hannover geboren, ganz ein Kind ihrer Zeit, die eine des Übergangs war. Für die Absolventin einer Keramikfachschule hieß das: Weg von Gründerzeitkitsch und Abziehbilderkunst. Hin zu Funktionalität und Materialschönheit. Und privat: Freiheit, Fleiß, Verantwortung.
Keine Ehe, keine Kinder
Als sich Hedwig Bollhagen nach Einsätzen in den Steingutfabriken im märkischen Velten, der Majolika Manufaktur Karlsruhe und den Steinzeugwerken in Frechen bei Köln um 1930 ganz für die Keramik entscheidet, steht das fest: keine Ehe, keine Kinder. Niemand würde aushalten, was sie vorhat: das serielle Fertigen von formschönem Gebrauchsgeschirr nach den Maßgaben einer von Werkbund und Bauhaus angeregten Ästhetik.
So ist es eben nicht nur eine Ausstellung von Geschirr und Vasen - Bollhagen: "Das sind doch bloß Töppe!" -, die man betrachtet, wenn man die Schau "Hedwig Bollhagen. Ein Leben für die Keramik" im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam besucht. Erstmals versucht die Ausstellung von rund 700 Objekten einen umfassenden Blick auf das Werk und zugleich einen Seitenblick auf die Persönlichkeit der Frau zu werfen, die zu den bedeutendsten deutschen Keramikerinnen und Designerinnen gehört. Die bis zu ihrem Tod 2001 über fast 70 Jahre nördlich von Berlin im Flecken Marwitz bei Velten arbeitete und lebte, was dasselbe ist. Hinter Glas liegen die frühen Jahre in Hannover: Kinderbücher der Bollhagen, Familienfotos, Spielzeug. Auf Märkten erwirbt sie Minigeschirr, mit dem sie sich eine Töpferei im Puppenhaus einrichtet. Erste Teller und Tassen, mit Kamelen oder Skiläufern dekoriert.
Neue Sachlichkeit dann, die 20er Jahre, Anflüge von Boheme auf den Jugendfotos, die "Hete" mit Freunden zeigen. Kunst-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte gehen hier spielerisch ineinander über. Die Zeitgeschichte läuft mit. Die Marwitzer Werkstatt wird 1934 aus dem Notverkauf der als Staatsfeindin denunzierten Jüdin Margarete Heymann-Loebenstein erworben.
In der märkischen Steppe verwirklicht sich die Bollhagen ganz. Ihr Idealprogramm von "Form ohne Ornament". Und wenn Dekor, dann in geometrischen Mustern: Striche, Punkte, Netzlinien. Die Geschirre der 30er Jahre haben glatte, weichgerundete Körper, aus Kugel-, Ei- und Zylinderformen entwickelt. In den 50er Jahren kommen konkav einschwingende Zylinderformen hinzu; die Zylinderkaffeekanne Nr. 558 wird von Ulbricht als "formalistisch" abgelehnt. Das berühmte Blau-Weiß-Dekor entsteht. Immer wird weiter geformt und getestet, von Künstlern wie Charles Crodel und Waldemar Grzimek gestaltet, die über Jahre in Marwitz wirken.
Wilson am Fliesentisch
Etwas zu "bollhagesk" lakonisch wird neben all dem schönen Geschirr die Privatperson der Künstlerin abgehandelt, als Nachlass- und Möbelschau ins Dachgeschoss abgeschoben: ihr Fliesentisch, Keramik, einige Bücher, das Fernglas zum Beobachten der Singvögel. Freundschaftsbeweise, unter anderen von dem amerikanischen Star-Theaterregisseur Robert Wilson, ein Bollhagen-Fan, der Keramik der 20er und 30er Jahre sammelt.
Allein, man hätte gern auch einmal etwas über Bollhagens Weltbild, Charakter und Privatleben erfahren, ohne es sich vage aus Nebensätzen zusammenstoppeln zu müssen. So bleibt der Videoschirm, dessen Zuschauerbank dicht besetzt ist. Man sieht die weißhaarige, gar nicht greise Über-90-Jährige, wie sie mit ruppigem Charme über ihre Arbeit redet und scharf an der Zigarette zieht. Sätze, wie sie in ihrer kurzen, im Katalog veröffentlichten Selbstbiografie zu finden sind: "Ich glaube, die vielen Möglichkeiten, sein eigenes Feld zu bestellen, führen an den Versuchungen vorbei, sich an Aufgaben zu wagen, denen man nicht gewachsen ist."
Bis 13. Januar 2008, Kutschstall am Neuen Markt in Potsdam: Di-Fr 10-17, Sa u. So 10-18 Uhr. Katalog: 256 Seiten, in der Ausstellung für 22 Euro