1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Harald Kretzschmar : Harald Kretzschmar: Der Karikaturist zeichnet noch jeden Tag

Harald Kretzschmar  Harald Kretzschmar: Der Karikaturist zeichnet noch jeden Tag

Von Andreas Montag 04.11.2016, 20:06
Mit dem Rücken zur Kunst: Harald Kretzschmar vor seinen Karikaturen bei einer Ausstellung in Merseburg 2013
Mit dem Rücken zur Kunst: Harald Kretzschmar vor seinen Karikaturen bei einer Ausstellung in Merseburg 2013 Peter Wölk

Kleinmachnow - Es ist faszinierend, dem Mann bei der Arbeit zuzusehen: Block und Stift sind immer zur Hand, ein scharfer Blick, dann beginnt Harald Kretzschmar energisch zu stricheln. Wenige Minuten dauert das, dann ist das Porträt fertig, scharf und treffend. Er genieße das, sagt der 85-Jährige, den man über eine Agentur als Schnellzeichner für die verschiedensten Anlässe buchen kann. Dann sitzt er, ein gemischtes, erwartungsfrohes Publikum vor sich, an einem Tisch und zeichnet gewissermaßen im Akkord.

Er freut sich auf solche Anlässe, „weil ich für fünf Minuten einen Menschen entdecken darf“. Allerdings vermisst er in letzter Zeit gelegentlich auch die Wertschätzung der Auftraggeber, die Sitten werden lockerer, der alte Mann aus der vordigitalen Welt würde gern den Respekt erfahren, den er verdient.

Harald Kretzschmar ist noch immer ein emsiger Arbeiter

Das ist nun gesagt und musste auch heraus. Gut so. Aber Harald Kretzschmar, dessen Dresdner Herkunft man nach so vielen Berliner - oder besser: Rand-Berliner Jahren, die er auf dem Rücken hat, noch immer leicht am weichen sächsischen Ton erkennt, ist einer, der sich am Haar in der Suppe festhalten würde. Dafür fehlt es ihm an Neigung und Zeit. Er arbeitet trotz seines Alters emsig, zeichnet, schreibt Bücher wie zuletzt „Treff der Originale“ über Prominente in und um Kleinmachnow sowie regelmäßig kleine Kolumnen für das „Neue Deutschland“.

In Kleinmachnow ist sein Zuhause, Kretzschmar und seine Frau leben seit 1959 dort, in einem kleinen, verwunschenen Haus. Verheiratet sind die beiden seit 1958, er nennt sich ironisch einen altmodischen Menschen, weil er immer noch mit der ersten Frau zusammen ist. Das ist der pure Spott über den Zeitgeist, der ihm ebenso fremd ist wie die Arroganz einiger Westdeutscher, die kein Gespür für die Lebensleistung der Ostdeutschen entwickelt haben.

Karikaturist konnte nach der Wende in Kleinmachnow wohnen bleiben

Nach dem Mauerfall, als viele Bewohner des grenznahen Kleinmachnow ihre Behausung zugunsten von Alteigentümern verlassen mussten, konnten Kretzschmars bleiben - eine gütliche Einigung mit der ursprünglichen Besitzerin machte es möglich. Darüber sind die Eheleute sehr froh gewesen, man gibt nicht gern den Platz auf, an dem man Jahrzehnte verbracht und sich wohlgefühlt hat.

„Als alter Linker bin ich doch so konservativ, dass ich an dem Hergebrachten hänge“, sagt der Zeichner. „Bei mir ist alles anders“, lautet ein anderer Satz, der gut zum ersten passt. Beides Aussagen, die von Bedeutung sind für sein ganzes Leben und damit auch für seine Arbeit. Und das eine ist vom anderen nicht nicht zu trennen.

Harald Kretzschmar blickt mit Staunen auf sein Leben

Für beides hält er sich mit Radfahren und Schwimmen fit, Kretzschmar ist ein naturverbundener Mensch, der frische Luft als erstes Nahrungsmittel ansieht. Und den Humor ebenso. Scharfsichtig, auch mit einem gewissen Staunen blickt er auf sein Leben. Zum Beispiel auf die Tatsache, dass in der DDR alle von unten kamen, wie er sagt - er aber kam aus dem Bildungsbürgertum. Der Unterschied ist ihm wichtig, er findet ihn immer noch bestätigt: Es gibt Besitzbürgertum und Bildungsbürgertum.

Einer seiner Großväter ist 1908 zweiter Bürgermeister in Dresden geworden, der andere war Apotheker. Da standen dem Jungen die Wege offen zunächst. Seine zeichnerische Begabung ist früh entdeckt worden, mit 13 Jahren zeichnete er seine erste Hitler-Karikatur. Das war 1944, nicht ungefährlich also. Auch Lehrer hat er porträtiert. Blitzartig muss dem Zeichner die Idee kommen, in wenigen Strichen fasst er das Wesentliche zusammen, bringt es auf den Punkt.

Für die Rückwärtsgewandten von Rechtsaußen hat Kretzschmar kein Verständnis

Die Nazizeit und den Krieg bewusst miterlebt zu haben, nennt Kretzschmar einen Erfahrungsschatz. In Frankfurt an der Oder, wo er zeitweilig lebte, sah er 1940/41 die nach Osten rollenden Truppentransporte: „Da war klar - jetzt geht es gegen die Sowjetunion“. Und in Dresden, wo er überwiegend aufgewachsen ist, sah er den Kriegsjubel in Straßen, die später in Trümmern lagen.

Den Kahlschlag mit einem Mal hätten die Dresdner nur schwer verarbeiten können. Für die Rückwärtsgewandten von Rechtsaußen hat Kretzschmar indes kein Verständnis, im „sächsischen Mob“ sieht er „lupenreine Faschisten“. Und die CDU, sagt er, sei in Sachsen hilflos und auf dem rechten Auge blind.

Zeichner für den „Eulenspiegel“ und andere DDR-Blätter

Harald Kretzschmar macht klare Ansagen. Überraschende auch, bedenkt man, dass er als Zeichner für den „Eulenspiegel“ und andere DDR-Blätter immerhin scharfe klassenpolitische Kante gab: „Für mich war die Wiedervereinigung ein Geschenk“, sagt er. Ein Widerspruch? Wohl nicht, weil bei ihm, wie gesagt, alles anders ist. Die Nachkriegszeit brachte viel Aufregung für den jungen Zeichner, der sich nach einer humaneren, sozial bestimmten Welt sehnte und den Familien-Exodus in den Traum-Westen nicht gut hieß.

Erst starben Schwester und Großmutter, 1951 die Mutter, da saß der Vater, ein Chemiker, wegen des Vorwurfs, Wirtschaftsvergehen begangen zu haben, im Zuchthaus. Im Jahr 1953 begnadigt, ist der Vater nach Westberlin gegangen, dort haben sie sich getroffen - Vater und Sohn, geflohener Bürger und überzeugter Sozialist. So gehen die Biografien nicht selten in diesem Land, man ist also gut beraten, auch dies als einen Schatz zu begreifen.

Bei Harald Kretzschmar ist alles anders

Harald Kretzschmar hat in Leipzig Grafik studiert, er ging als Pressezeichner nach Berlin, wurde „fast natürlich“ Genosse der SED. Erste Tat: Über eine Walter-Ulbricht-Karikatur von ihm ist gleich ein Chefredakteur gestolpert: „So bin ich als Linker mit einem Parteibuch legitimiert“.

Später, gegen Ende der DDR, als es ideologisch immer enger wurde im Honecker-Land, hat sich Kretzschmar stärker auf das Künstlerische in Ausstellungen konzentriert und Bücher mit eigenen Porträts gezeichnet.

Und was sein Linkssein betreffe, sagt er, so sei das wie mit der Religion bei ihm. Christlich erzogen, hat er sich später von der Kirche abgewendet, ist aber kein Atheist. Politisch liegt der Fall ähnlich bei Harald Kretzschmar, bei ihm ist eben alles anders:

„Eigentlich bin ich Sozialdemokrat, kann aber mit der SPD nichts anfangen“, sagt er. Und Willy Brandt hat er bewundert. Das geht allerdings vielen so. (mz)