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Hans-Eckardt Wenzel Hans-Eckardt Wenzel: Distanz zu den Siegern

Von torsten wahl 30.07.2015, 04:27
Skeptisch, kritisch, optimistisch: Hans-Eckardt Wenzel
Skeptisch, kritisch, optimistisch: Hans-Eckardt Wenzel Markus Altmann Lizenz

berlin - „Mir war misslungen, früh zu sterben. Ich hatte die Arbeit nicht geschafft.“ Mit diesen Zeilen aus seinem Gedicht „Gewöhnt an den Tod, immer mehr“ hat Hans-Eckardt Wenzel für morgen zur Feier seines 60. Geburtstags in den Berliner Admiralspalast eingeladen. Dabei wirkt der Mann, der sportlich rank in den Biergarten im Volkspark Friedrichshain kommt und stolz von seinem frischen Enkelkind berichtet, nicht wie einer, der gern mit einem frühen Tod kokettiert.

Doch eine poetische Anmaßung sei sein Kreisen um das Sterben nie gewesen, stellt er bei einem Glas Bier klar und blickt auf die Zeit zurück, als er halb so alt wie heute war. „Ich habe damals sehr exzessiv gelebt, die Gefahr zu verbrennen, war real.“ Doch mit 33, im Sterbealter von Jesus, erreiche man die Bruchstelle zwischen Kind und Mann. 1988 sah Wenzel noch aus wie Jesus und war mit Liedern und Programmen wie „Neues aus der DaDaEr“ ein Held der intellektuellen Jugend im Osten.

Lethargie der DDR

Doch als er mit seinen Projekten nicht vorankam, erkrankte er schwer – und ging nicht, wie so viele Kollegen, in den Westen, sondern nach Nicaragua. Nach seiner Rückkehr erlebte er die Lethargie der DDR um so schärfer, gehörte im September 1989 zu den Verfassern der Künstler-Resolution, die vielen Mut machte. In den 90ern rieb er sich mit seinem langjährigen Kollegen Steffen Mensching an den neuen Verhältnissen, bis sie das Clowns-Duo Weh und Meh aufgaben. Seither steckt Wenzel seine Energie in Songs. Keiner kann seinen Zorn und seine Trauer in so viel kraftvolle Poesie fassen und keiner feiert den Rausch so wie er.

Im Admiralspalast wird Wenzel morgen nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder mit Mensching, inzwischen Intendant am Rudolstädter Theater, auf der Bühne stehen. Auch seine älteste Tochter Karla wird dabei sein. Eine Szene mit vier Schauspielern stammt von Christoph Hein, mit dem Hans-Eckardt Wenzel schon viele Jahre lang zusammenarbeitet: „Wir schicken uns unsere unveröffentlichten Arbeiten zu und gehen sehr offen miteinander um.“ Fast ebenso groß wie die Schar der Musiker, mit denen er zusammenarbeitete, ist der Kreis der Dichter, deren Werke Wenzel vertonte und vor dem Vergessen bewahrte. Schon seit Studententagen schreibt er Lieder nach den Gedichten des Österreichers Theodor Kramer – inzwischen sind es Hunderte.

Ein „vergessener Dichter“ ist für Wenzel auch Johannes R. Becher – der einstige DDR-Kulturminister hatte den Text der DDR-Nationalhymne verfasst: „Er trägt das ganze Elend des 20. Jahrhunderts in sich.“ Bewusst hat Wenzel die Gedichte nicht datiert – sie sollen für sich stehen, nicht nur biografisch interpretiert werden.

Weitere Informationen lesen Sie auf Seite 2.

Wer in der DDR-Schule das „Lenin“-Poem vortragen musste („Er rührte an den Schlaf der Welt“), kann in Wenzels Album „Sterne glühn“ einen ganz anderen Becher entdecken, der in seinen Herbstliedern und Liebesgedichten Wenzels Lyrik erstaunlich nahe ist.

Das Becher-Album ist der erste von vier Tonträgern, die Wenzel in in diesem Jahr herausbringen wird – insgesamt sind es in den letzten 15 Jahren mehr als 30! Wenzel, der sich in seinem eigenen Label Matrosenblau von marktwirtschaftlichen Zwängen freigemacht hat, findet diesen enormen Ausstoß gar nicht so beachtlich: „Ich nehme Alben auf, um Projekte abzuschließen.“ Mit dem Erlös einer Platte kann er meist die Aufnahme der nächsten bezahlen – Geld verdient er mit seinen Konzerten. Eine Zeit lang stellte er jede Woche ein unveröffentlichtes Lied gratis auf seine Homepage. Derzeit steht seine „Neue Europa-Hymne“ im Netz – ein bitterer Abgesang.

Besondere Verbindung von Kunst und Realität

Als politischen Kommentator sieht sich Wenzel aber nicht, gern zitiert er Hanns Eisler: „Das Überpolitisieren in der Kunst führt zur Barbarei in der Ästhetik.“ Viel lieber redet Wenzel über die besondere Verbindung von Kunst und Realität. So erklärt er den Wandel im 89er Herbst, der für ihn keine „friedliche Revolution“, sondern eine „fröhliche Implosion“ war, mit dem veränderten Versmaß: „,Wir sind das Volk‘, das war ein Walzer. ,Wir sind ein Volk‘ aber wurde zum Marsch.“ Wie Musik funktioniert, lernte der am 31. Juli 1955 in Kropstädt bei Wittenberg Geborene schon als Oberschüler in der nahen Lutherstadt, wo er mit mehreren Rockbands unterwegs war. Dabei verlor er mal seine Stimme, weil er „Satisfaction“ zu laut gekräht hatte. Und wegen seiner langen Haare gab es zuweilen Probleme. Heute ist er nur noch selten in seiner Heimatstadt, wo sein Vater und zwei Schwestern wohnen. Er floh früh nach Berlin, fühlt sich aber fremd inmitten der neureichen Zuzügler.

Schreiben kann er nur noch in der Einsamkeit Vorpommerns. Mit der Songzeile „Halte dich von den Siegern fern – halte Dich tapfer am Rand“ fasst er seine poetische Grundhaltung zusammen. Ob er nicht doch mal bei den Siegern stehen wolle? Diese Frage findet Hans-Eckardt Wenzel seltsam: „Kaisergeburtstagssänger schreiben keine guten Lieder.“ (mz)

Konzert am Freitag,20 Uhr, Admiralspalast, Berlin, Friedrichstr. 101