Hannes Meyer Hannes Meyer - der Bauhaus-Pionier von Dessau

Kassel - Es sieht ganz danach aus, als gäbe es im Vorfeld des Bauhaus-Jubiläums auf keinem Gebiet der Forschung mehr Fortschritte als zur Ära Hannes Meyer - der Direktor am Bauhaus Dessau von April 1928 bis August 1930.
Jedenfalls konnte Ex-Stiftungsdirektor Philipp Oswalt jüngst Referenten in so großer Zahl an seine Wirkungsstätte an der Universität Kassel holen, dass drei Tage von morgens bis abends ausgefüllt waren.
Hannes Meyer renommierte Dessau
So tagte man in drei Abschnitten über „Hannes Meyer als Pädagoge“: über seine konzeptuellen Ideen, über die Arbeit der Lehrer in seiner Zeit und über das Wirken seiner Schüler.
Es hätte dem Schweizer Marxisten sicher gefallen. So hatte er in seinem berühmten offenen „Rauswurf“-Brief an Dessaus Oberbürgermeister Fritz Hesse gesagt, er habe einen „mittelalterlichen Kult“ vorgefunden und einen „Ort neuer Lebensgestaltung“ daraus gemacht.
„Inzüchtige Theorien“ seien mit „wissenschaftlich begründeter Gestaltung“ ersetzt und die „Spielerei für Bauhaus-Snobs“ zugunsten der Devise „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ beendet worden.
Hannes Meyers demostrative Nüchternheit
In dem Brief ist viel von Pädagogik die Rede, und von Meyers Theoriegebäuden mit ihrer demonstrativen Nüchternheit.
„Alles Leben sei ein Streben nach Sauerstoff + Kohlenstoff + Zucker + Stärke + Eiweiß ... Bauen sei ein biologischer Vorgang ... eine kollektive Handlung ... eine soziale, psychische, technische und ökonomische Organisation der Lebensvorgänge.“
Der Forschung stellt sich die Frage, wer auf Meyers Gedankengebäude eingewirkt, wer wie darauf reagiert hat, welches Echo es bei seinen Schülern fand.
Hannes Meyer forderte Ingenieur Meyenburg
Meyer nennt in dem Brief die Namen der von ihm „verpflichteten Kräfte“, die in seinem Sinne lehrten. So erwähnt er zum Beispiel Konrad von Meyenburg: heute vergessen, damals ein schillernder Ingenieur, Erfinder und Fabrikant der „Bodenfräse“.
Dieser neuartige Pflug war für Meyer nicht nur eine agrartechnische Revolution, sondern Sinnbild effizienz- und funktionssteigernden Fortschrittes, und zwar „im Einklang mit der Natur“.
Gregory Grämiger von der ETH Zürich analysierte Mitschriften von Meyenburgs Vorlesungen am Bauhaus und stieß in den Schriften des engen Freundes von Hannes Meyer auf eine überraschende Aussage: Er sei es eigentlich gewesen, der den Architekten zu den Bauformen der Natur geführt habe.
Hannes Meyers Ansatz: „Bauen als biologischer Vorgang“
Ein bisschen spinnert war das schon - aber Meyers Wort vom „Bauen als biologischem Vorgang“ trägt mehr als ein Echo von Meyenburgs agrarischen Utopien in sich.
Ebenfalls in dem Brief genannt ist Johannes Riedel. Dieser damals bekannte Arbeitspsychologe stammte wie Meyer aus der Genossenschafts- und obendrein der Pfadfinderbewegung, wie Martin Kipp, Bildungsforscher an der Universität Hamburg, ausführte. Er lehrte „das Leben zu ordnen“ und plädierte für die „Hinwendung zur Natur“.
Hannes Meyers Bernauer Anlage ist Weltkulturerbe
Ist Meyers jüngst zum Weltkulturerbe ernannte Gewerkschaftsschule Bernau von solcher Naturbeziehung mehr beeinflusst als bisher gedacht? Der Architekt, der Bauen als „Funktion mal Ökonomie“ bezeichnete, und im Entwurf für den Genfer Völkerbundpalast von 1926 keinerlei Rücksicht auf die umgebende Szenerie nahm, hat die Bernauer Anlage geradezu poetisch mit der Landschaft verwoben.
Aryeh Sharon war Meyers „ultimativer Schüler“
Dazu könnte ihn wiederum ein anderer inspiriert haben, nämlich Aryeh Sharon. Über diesen „ultimativen Schüler Meyers“, der nach 1948 dessen Weltanschauung „nach Israel transportierte“, hörte man von dem israelischen Architekturhistoriker Zvi Efrat, über Skype aus Jerusalem.
Die Beeinflussung war wechselseitig, war Sharon - der als Kibbuz-Aktivist und -Architekt ans Bauhaus kam - Meyer doch geistesverwandt: Sozialist, Modernist, Kollektivist - aber im Sinne des ländlichen Umweltbewusstseins der Kibbuz-Bewegung.
Er wurde Bauleiter an der Bernauer Gewerkschaftsschule, deren Entwurf Meyer bewusst im Kollektiv mit der Architekturklasse des Bauhauses durchführte. Das gilt auch für die Dessauer Laubenganghäuser, wie die Kasseler Forscherin Anne Stengel referierte.
Hannes Meyer hat vieles mit Ludwig Hilbersheimer gemein
Ein stets folgerichtiger Denker war Hannes Meyer aber weder als Pädagoge noch in seinen Maximen zur Architektur. Philipp Oswalt zog den Vergleich zu Ludwig Hilbersheimer.
Der war nicht nur extremer in seinen städtebaulichen Konzepten, sondern hielt sie auch sein Leben lang unverändert durch. Die Monotonie seiner Stadtutopien schreckt ab, aber er wollte eine soziale Durchmischung mittels eines Mit- und Nebeneinanders von Wohnriegeln und Einzelhäusern.
Wobei letztere für die Selbstversorger-Haushalte der Arbeiter, erstere für die vermögenderen Angestellten gedacht waren. Auch die Laubenganghäuser in Dessau sollten ursprünglich mit Einzelhäusern abwechseln.
Brigade Meyer in der SU
Die „nomadische Fortsetzung von Hannes Meyers Bauhaus“ durch dessen Schüler untersuchte Daniel Talesnik vom Illinois Institute of Technology am Beispiel von Tibur Werner. In der Sowjetunion gehörte er der „Brigade Meyer“ an, entwarf 1938 in Paris eine Schule und übernahm 1939 in Chile ein Lehramt.
Seine Studenten wähnten sich voll in der „Bauhaus-Tradition“, obwohl Talesnik ausschließlich Meyers Didaktik verfolgte, die mit dem Ur-Konzept von Gropius nur wenig gemein hatte.
Naturphilosoph Paracelsus ist Wurzel des Bauhaus
Und doch gibt es für das Bauhaus nur eine Wurzel, glaubt jedenfalls Simone Hain. In einem fulminant vorgetragenen philosophiegeschichtlichen Exkurs zu Karel Teige, dem tschechischen Kunsttheoretiker, den Meyer zeitweilig ans Bauhaus holte, ging sie zurück ins 16. Jahrhundert.
„Paracelsus ist der Gesetzgeber des Bauhauses.“ Was dieser Naturphilosoph dachte, spiegelt sich ihrer Meinung nach im Bauhaus: „Materie ist belebt. Es gibt eine Gesetzlichkeit. Die Welt kann geheilt werden.“
(mz)