Händelfestspiele Händelfestspiele: Neuinszenierung von «Amadigi in Gaula» in Göttingen
göttingen/MZ. - Diesmal klappt es wieder und die beiden großen Händelfestspiele in Deutschland kommen sich mit ihren Terminen nicht, wie im letzten Jahr ins Gehege. In Göttingen beginnen der neue künstlerische Leiter der Brite Laurence Cummings und der geschäftsführende Intendant Tobias Wolff nach einer umjubelten Esther Aufführung unter Cummings mit einer Neuproduktion von "Amadigi di Gaula" (die es in Halle 2005 zuletzt im Goethe-Theater Bad Lauchstädt zu sehen gab).
Tobias Wolff versichert, dass die aktuelle Produktion nur eine von vielen Handschriften sein wird, die man für die nächsten Jahre im Visier hat. Es ist also keine programmatische Kehrtwende, weg von den vorsichtigen szenischen Modernisierungsversuchen der letzten Jahre unter Nicholas McGegan.
In der pluralistischen deutschen Opern- und Festspiellandschaft hat eben auch die ausgeprägt barocke Gestik und Szenerie der aufs Historische spezialisierten Regisseurin Sigrid T'Hooft ihren Platz.
Gemeinsam mit dem Ausstatter Stephan Dietrich setzt sie auf eine in etwa nachempfundene Bühnen-und Kostümopulenz von anno dazumal. Bei den Prospekten und Effekten ist alles gleichwohl zur angedeuteten blauen Grotte mit ergänzenden Turm-, Brunnen- und Wolken-Versatzstücken abgerüstet. Diesmal ohne die Patina des natürlichen Kerzenscheins, mit dem die Regisseurin ihrem Disney-Barock bei ihrem Karlsruher "Radamisto" vor drei Jahren so furios die Aura des Authentischen verpasst hatte.
Immerhin liefern die Protagonistinnen und Tänzer des Corpo Barocco bei all ihren geschmeidigen Spielbein-Standbein-Reminiszenzen und der ausgefeilten Bewegungs-Choreographie bis in die Fingerspitzen, wenn auch unbewusst, die eigene Ironisierung gleich mit. Denn das, was in Händels London von 1715 für eine Beziehungssoap auf der Opernbühne das allgemeinverständliche Vokabular war, ist mittlerweile zur Fremdsprache geworden.
Das Göttinger Team nimmt dabei den Anschein einer historischen Aufführung wie zur Entstehungszeit, anders als Stefan Herheim gerade mit seinem "Xerxes" in Berlin, nicht als Teil einer großen Theatergaudi, sondern für sich selbst und damit ernst. Der Löwenanteil der dreieinhalb Bühnenstunden lastet auf einem Quartett von Protagonistinnen. Nach einem eher gemächlichen Arien- und Rezitativwechsel kommt Händel im letzten Drittel dann richtig auf Touren.
Da ziehen Tempo und Intensität an, kommen wunderbar schmetternde Bläser zum Einsatz und der Zicken-, respektive Sopranistinnen-Krieg zwischen der allseits begehrten Oriana (höhenzart: Stefanie True) und der fiesen Melissa (mit gezückter Koloraturwaffe: Judith Gauthier) eskaliert.
Die eine ist die Geliebte von Amadigi (Mareike Braun mit ruhig fließendem Mezzo), die andere will ihn der Konkurrentin mit allen Mitteln ausspannen. Und diese Mittel sind erheblich, denn Melissa ist eine Zauberin, die über ein ganzes Gefolge von Furien gebietet. Noch einen Tick schlimmer als ihre berühmte Kollegin Alcina, ist sie eine echte Kanaille, hat die wirkungsvollsten Auftritte, entleibt sich dafür aber am Ende auf offener Bühne selbst.
Amadigis Freund Dardano (Markéta Curkrová), der auch auf dessen Geliebte scharf ist, bleibt als Kollateralschaden auf der Strecke, trägt aber am Ende als Götterbote ex machina zum unvermeidlichen lieto fine bei, das diesmal auch nicht von der Musik unterlaufen, sondern ausgiebig zelebriert wird!
Musikalisch profitiert das ausgewogene Protagonistinnen-Ensemble, bei dem vor allem Judith Gauthier den Miststück-Vorteil der Vorlage weidlich nutzt, vom besten Erbteil der Ära McGegan. Das 2006 gegründete, dem Modell des Bayreuther Festspielorchesters folgende, auf Zeit aus Musikern internationaler Alte-Musik-Ensembles zusammengestellte Festspiel-Orchester Göttingen läuft unter Andrew Parrott läuft zur Hochform auf.
Melodiengeschmeidig beim poetischen Aufwärmen, frisch bei der Zuspitzung der Konflikte, transparent und präzise bei der solistischen Ausschmückung.
Beim neu etablierten Projekt "Young Amadigi" werden 14 Nachwuchstalente aus der Region ihren Kommentar zum Stück auf der Bühne abliefern. Das Premierenpublikum war erst mal mit dem Blick in die Geschichte des Genres zufrieden.