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Händelfestspiele Händelfestspiele: Die erste Geige

Von UTE VAN DER SANDEN 04.06.2010, 17:13

Halle/MZ. - Bernhard Forck ist Teetrinker. Er kennt die Karte und bestellt umstandslos ein Kännchen vom kräftigen Assam Mangalam. Im Teehaus an der Kleinen Ulrichstraße in Halle sitzt er oft, manchmal kommt er schon zum Frühstücken hierher. Als einziger Gast genießt er dann das Privileg, um das Abstellen der Tonanlage bitten zu dürfen. Bernhard Forck reagiert empfindlich gegen akustische Dauerberieselung. Sie stört ihn wie die meisten Musiker, vornehmlich aber jene, die sich selbst genau zuhören müssen, damit sie auf ihrem Instrument die richtige Tonhöhe treffen. Nur wenige Hertz Abweichung, schon klingt die Violine unsauber - besonders im Zusammenspiel.

Der Leiter des halleschen Händelfestspielorchesters ist nicht nur ein ausgezeichneter Geiger - eine Tatsache, von der sich Publikum und Kollegen bei solistischen Auftritten und in Kammermusiken immer wieder überzeugen durften. Bernhard Forck findet auch im Gespräch, im Umgang mit Menschen die angemessene Tonlage. Was er im vierten Jahr als Chef des Originalklang-Ensembles mehr denn je beweisen kann: Zum ersten Mal leitet er die Musiktheaterproduktion, die anlässlich der Händelfestspiele am Opernhaus Halle herauskommt. Neben dem "Orlando" ist Bernhard Forck auch das Festkonzert mit der Sopranistin Anna Prohaska anvertraut.

Somit hat er an diesem Tag bereits zwei Proben hinter sich und spricht nun von der Balance, die für jede Einstudierung neu kalkuliert werden muss. Der 47-Jährige reflektiert den verbalen Spagat zwischen einem verbindlichen, der Arbeitsatmosphäre förderlichen Ton und einem entschiedenen Leitungsstil. Man spürt, dass er noch dabei ist, seine Rolle zu finden, seine Position als Chef zwischen altgedienten Orchestermusikern, die teilweise erfahrener sind, als er es sein kann.

Sie selbst waren es, die ihn vor drei Jahren zum musikalischen Leiter des Händelfestspielorchesters bestellten. Viele Gastspiele als Solist und Konzertmeister waren diesem Ruf vorausgegangen. Seither kümmert sich Bernhard Forck um die Barockmusikreihe "Händel zu Hause" und die Kammermusiken im Händel-Haus, um Sonderkonzerte und Plattenproduktionen. Die Aktivitäten des Spezialensembles werden, befürchtet sein Leiter, angesichts der schwierigen finanziellen Situation im Kulturbereich und des bevorstehenden Personalabbaus an den halleschen Bühnen kaum auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten sein. Die Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung schätzt Bernhard Forck gleichwohl als "ausgesprochen positiv" ein.

Indes: Statt vor der Finanznot zu kapitulieren, gelte es Visionen und Kreativität zu entwickeln in künstlerischer Hinsicht wie in der Außenwirkung - jetzt erst recht. "Es gibt so viele Studenten in Halle, aber so wenige besuchen unsere Konzerte", sagt Bernhard Forck, er denke deshalb über neue Aufführungsorte und -formen nach. Auch stellt er Hierarchien innerhalb des Klangkörpers infrage, lässt Geiger schon mal die Plätze tauschen. "Der gute Orchestermusiker", erklärt er, "hat gelernt, nicht aufzufallen. Hingegen möchte ich vermitteln, dass es sehr wohl auf jeden Einzelnen ankommt. Sein Tempo, seine Energie und Ausstrahlung sind gefragt." Was wiederum mit seinem eigenen Klangideal von Barockmusik zu tun habe: Eine "drastische Sprache" soll sie sprechen, guten Rhythmus und deutliche Artikulation haben. Und eine Continuo-Besetzung, die sich ihrer tragenden Rolle bewusst ist. Die Gelassenheit, mit der etwa die Holländer ihren aufführungspraktischen Nationalstil zelebrieren, "entspricht mir überhaupt nicht", gesteht Bernhard Forck.

Die intensive Arbeit im vorigen Händeljubiläumsjahr habe dem Orchester viel gebracht. Und davon, glaubt er, profitiere auch die Staatskapelle. Bekanntermaßen einzigartig ist die Konstruktion, dass Musiker eines städtischen Theater- und Konzertorchesters regelmäßig zu Originalinstrumenten greifen und sich als professionelles Barockensemble weltweit Meriten erspielen - und das seit fast 20 Jahren.

Zu einer Zeit, da das Musizieren auf alten Instrumenten und seine Stilistik zumindest ignoriert, meistens aber belächelt und oft missbilligt wurden, nahm Bernhard Forck die Barockgeige erstmals zur Hand. Die Initialzündung verdankt er einer Kommilitonin, die dem damals Sechzehnjährigen Bach und Vivaldi vorspielte - auf einer alten Violine. "Ich spürte genau, dass in dieser Art zu musizieren etwas steckte, was ich entdecken wollte", sagt Bernhard Forck. Parallel zu seiner professionellen Ausbildung begann er mit intensiven Studien zur historischen Aufführungspraxis. Kein Geringerer als der Österreicher Nikolaus Harnoncourt, einer der ersten Pioniere des Originalklangs, verhalf ihm mit einem handschriftlichen Brief zum Kursbesuch in Salzburg: Das Innenministerium der DDR akzeptierte die Referenz und stellte das Visum aus.

Bernhard Forck war fünf Jahre alt, als er mit dem Geigespielen anfing. Er wuchs mit vier Geschwistern auf. Sein musikalisch-kirchliches Umfeld prägte ihn; Oratorien zu hören, sei für ihn etwas völlig Alltägliches gewesen. Ob er die Violine noch einmal wählen würde? Bernhard Forck antwortet, wie so oft, durch die Hintertür: Als Kind habe er viel lieber gesungen als Geige geübt - "wahnsinnig gern und laut". Auch würde er gern besser Klavier spielen. "Im Ganzen bin ich", sagt er, "dem Schicksal sehr dankbar, denn ich habe meine musikalische Existenz immer als Glücksfall empfunden."

Das klingt nach einem zufriedenen Dasein. Oder, um es musikalisch auszudrücken: nach einem Leben in Dur. Stets nahm er, was geschah, als Chance. Froh, das Studium an der Berliner Musikhochschule beendet zu haben, bestand er das Probespiel beim damaligen Berliner Sinfonie-Orchester, einer der besten Kapellen im Land. Es war seine erste Stelle, und er gab sie nach fünf Jahren auf. "Manche Kollegen machen sich heute noch Sorgen um mich. Kein Mensch hat verstanden, wie ich inmitten der Wendewirren kündigen konnte", erinnert er sich lachend.

Seither ist Bernhard Forck unterwegs. Er arbeitet eng mit René Jacobs zusammen, spielt Kammermusik, war Partner von Cecilia Bartoli, trat mit Albrecht Maier, Thomas Quasthoff, Andreas Scholl und Marcus Creed auf. Seit 25 Jahren ist er Konzertmeister der Akademie für Alte Musik Berlin. Er wirkt in Opernproduktionen mit, tritt als Solist auf, kann auf eine stattliche Diskografie verweisen. Die Verbindung zwischen Aufführungspraxis, Dirigieren und eigenem Instrumentalspiel schätzt er an der Leitung des Händelfestspielorchesters besonders hoch. Er hat ein Streichquartett gegründet und vermittelt sein Wissen an den Nachwuchs: "Unterrichten macht immer Spaß", sagt Bernhard Forck, "die Schüler werden müde, als Lehrer bleibt man den ganzen Tag wach." So gibt er weiter, was er selbst von Meistern lernte. "Wenn euer Spiel mein Herz nicht bricht, habt ihr es nicht gut gemacht", belehrte ihn einst in einem Streichquartettkurs ein sehr alter Bratscher, der noch mit Arnold Schönberg und Béla Bartók musiziert hatte. Bernhard Forck wird diesen Satz nicht vergessen.

Wie er entspanne? Zuhause in Berlin, bei Brettspielen mit seinen drei Kindern. Bei einem guten Krimi. Im Urlaub ohne Geige. Und, sogar, beim Üben. Wiewohl das in seinem Alltag weniger Platz hat, als ihm lieb wäre, genießt er es als "Flucht vor dem Organisatorischen", während des Einrichtens der Stimmen, daheim und in Hotelzimmern. Die vielen solistischen Aufgaben in den Konzerten zwingen ihn sowieso zur Vorbereitung: "Ich verliere sonst den Kontakt zum Instrument." Und gerade die Geige, sagt Bernhard Forck, der es schließlich wissen muss, "sollte man jeden Tag in der Hand haben."