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Halle Halle: Gute Resonanz auf Sitte-Ausstellung

06.11.2011, 16:21
Willi Sitte: «Rückgabe des Apfels», 1991, Öl auf Hartfaser
Willi Sitte: «Rückgabe des Apfels», 1991, Öl auf Hartfaser MZ/REPRO Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Allerdings hat man sich vor Ort lange schwer getan, angemessenen Umgang mit dem Fürsten des Sozialistischen Realismus zu pflegen.

Das hatte mit dem postsozialistischen Fremdeln zu tun, das in den Jahren nach dem Ende der DDR um sich griff: Sollte man die Träger des abgewickelten Systems, auch dessen offizielle kulturpolitische Leitfiguren, noch kennen? Und wenn ja, welchen Stellenwert sollten man ihnen dann noch beimessen?

Also schwiegen viele lieber und gingen auf Tauchstation. Aber nicht, weil das von irgendeiner neuen Superinstanz verordnet worden wäre, hier irrten die Verschwörungstheoretiker, zu denen man wohl auch Sitte zählen kann, der die Fronten durch konfrontative Äußerungen im Übrigen nur noch verhärtet hat.

Ungeachtet dessen: Die Angst, sich selbst unangenehme Fragen stellen zu müssen, fragte man einen anderen, Sitte zum Beispiel, nach seiner Rolle als Staatskünstler und Funktionär, hat viele Gespräche verhindert, die zum besseren Verständnis hätten geführt werden sollen. Ein deutsches Phänomen, das schon aus der Zeit nach dem Ende des Nationalsozialismus bekannt ist.

Nun haben Kunst Halle e.V. und der hallesche Kunstverein dem 90-Jährigen eine üppige Werkschau ausgerichtet, in der sich jedermann selbst ein Bild von der künstlerischen Entwicklung und den ästhetischen Positionen des Malers und Grafikers Sitte machen kann.

Die frühesten Zeugnisse, Aktstudien, gehen bis auf das Jahr 1940 zurück, in dem der am 28. Februar 1921 in Kratzau (CSR) Geborene an die Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei in Kronenburg (Eifel) empfohlen wurde. Ein Jahr später wurde Sitte der Schule nach kritischen Äußerungen verwiesen und zur Wehrmacht einberufen, 1944 desertierte er in Italien und lief zu den Partisanen über.

Die hallesche Schau belegt Sittes Themen- und Formensuche sehr anschaulich. Im Foyer von zwei bekannten Bildern empfangen, dem Doppelporträt "Meine Eltern II" aus dem Jahr 1963 und der proletarischen Ikone "Chemiearbeiter am Schaltpult" (1968), werden dem Besucher beim Rundgang auch weniger oft gesehene Arbeiten begegnen. Dass sich neben zeitpolitischen Themen namentlich die Darstellung des nackten menschlichen Körpers und der fleischlichen Liebe wie ein Leitmotiv durchzieht, ist dabei weniger überraschend als der Einblick in die druckgrafische und zeichnerische Arbeit Sittes.

So ist ein ganzer Raum seinen Künstlerhommagen vorbehalten, Widmungsarbeiten für berühmte Kollegen, zu denen sich Sitte in wahlverwandtschaftliche Beziehung setzt. Michelangelo, Rodin, Ensor, Goya und anderen Großmeistern sind die Zinkografien zugeeignet und zeigen einen selbstbewussten, stilsicheren Künstler, der sich als Maler seit den 1960er Jahren zunehmend zum Anwalt des Üppigen entwickelt hatte.

Schwellendes, kraftstrotzendes Fleisch ist zum Markenzeichen Sittes geworden, der in in den 50ern von der verfemten Moderne beeindruckt gewesen war und in deren Formensprache experimentierte. Auch für diese Schaffenszeit finden sich Belege in der Ausstellung, ebenso Skizzenbücher Sittes.

Den breitesten Raum, nicht zuletzt der großformatigen Bilder wegen, nimmt aber Sitte ein, wie man ihn kennt: Gemälde, die politisches Bekenntnis und Sinnlichkeit zu einer propagandistischen Melange verschmelzen: Kraft ist Körper ist Lust ist Macht ist sozialistische Wirklichkeit.

Dieser Ästhetik blieb Sitte über die Zeitenwende treu, nur sind die Inhalte nun gallig: "Das Unheil begehrt Einlass" aus dem Jahr 1993 zeigt gesichtslos grinsende Monster, die den Schutzraum der netten Nackten beiderlei Geschlechts stürmen. Nun ist er da, der altböse Feind, der Kapitalismus. Und hart geht Sitte mit jenen ins Gericht, die er für Opportunisten hält, den "Herrn Mittelmaß" hat er sich eigens erfunden, der nun Morgenluft wittert. Der denunzierte Mann sieht kurioserweise wie ein Vetter von Gollum aus, dem bedauernswerten Fabelwesen in Peter Jacksons Filmtrilogie "Herr der Ringe".

Bis 20.11,, Villa Kobe, Philipp-Müller-Straße 65, do-So 14-19 Uhr

Das Werk «Bei der Arbeit» des Malers Willi Sitte wird in der Kunsthalle «Villa Kobe» in Halle an der Saale betrachtet. Das Ölbild auf Karton ist ein Selbstbildnis aus dem Jahr 1995.
Das Werk «Bei der Arbeit» des Malers Willi Sitte wird in der Kunsthalle «Villa Kobe» in Halle an der Saale betrachtet. Das Ölbild auf Karton ist ein Selbstbildnis aus dem Jahr 1995.
dpa-Zentralbild