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"Günther Jauch"-Talk zum Germanwings-Absturz "Günther Jauch"-Talk zum Germanwings-Absturz: Angebrachte Ruhe ohne Platz für Spekulationen

Von Daniela Vates 30.03.2015, 06:13
Günther Jauch am Sonntagabend.
Günther Jauch am Sonntagabend. dpa Lizenz

Berlin - Selten nur ist das Wort bedächtig angebracht zur Beschreibung der Talkrunde von Günther Jauch. Am Sonntagabend war sie es ausnahmsweise. Der Germanwings-Flugzeugabsturz war das Thema auch dieser Runde. „Wie können wir mit dieser Katastrophe umgehen?“, fragte ihr Titel und statt des auf diesem Sendeplatzes sonst üblichen Parolen- und Theorien-Austausches gab es Raum für Informationen – und die Mahnung nach Zurückhaltung aus Rücksicht vor Opfern und Angehörigen.

Mit am eindrücklichsten trat Sabine Rau auf, die leitende Notfallpsychologin der Stadt Düsseldorf, die viele Angehörige der Opfer des Absturzes betreut. Die vergangenen Dienstag verunglückte Maschine, die aus Barcelona kam, hätte in Düsseldorf landen sollen.

Ruhig schilderte Rau die Bedürfnisse der Familien und Freunde der Opfer, die mit so vielem gleichzeitig fertig werden müssen: dem Verlust, dem klarer werdenden aber noch nicht ganz sicheren Absturzgrund, dem Informationsbedarf der Behörden, die für die Identifikation der Opfer persönliche Daten und Gegenstände brauchen.

Spekulationen helfen nicht weiter

Informationen könnten den Angehörigen helfen in dieser Lage, nicht aber Spekulationen, warnte Rau.

Der Anwalt und frühere Innenminister Gerhard Baum, der Angehörige anderer Flugzeugabstürze vertreten hat, ergänzte durch Kritik an Medien und neugierigen Konsumenten: „Wir müssen die Angehörigen schützen vor neuer Traumatisierung.“ Traumatisierung sei möglich, wenn allzu deutliche Bilder von der Trümmersuche im Fernsehen gezeigt würden, aber auch durch Versuche, Angehörige zu interviewen. Sie müssten geschützt werden „vor der öffentlichen Neugier“.

Jauch verzichtete passenderweise – ob auf Mahnung Baums oder aus eigenem Antrieb – auf die zum Standard der Absturz-Berichte gehörenden Bildern von Co-Pilot, Absturzstelle oder Opfern. Ohne wenigstens einen Einspielfilm zwischendurch geht es aber offenbar nicht in der Sendung – das Vertrauen in die Tragkraft von Moderator und Gästen einerseits und in die Konzentrationsfähigkeit der Zuschauer auf der anderen, scheint eher gering. Der Film widmete sich der Ausbildung von Piloten - ein Siebverfahren, aus dem nur die besten hervorgehen sollen. Aber was passiert, wenn die Besten später im Beruf psychische Probleme bekommen? Räumen sie etwa schwere Depressionen ein, riskieren sie den Entzug ihrer Fluglizenz und also ihrer beruflichen Existenz.

Untersuchungen schließen nicht alles aus

Es gebe zwar keine Psychotests mehr für Piloten, aber genügend Hilfsangebote, sagte der Lufthansa-Manager Kay Kratky, der als betroffener, nicht dem Profit, sondern den Passagieren und Angestellten verpflichteter Unternehmensvertreter auftrat. Der Lufthansa-Psychologe Reiner Kemmler ergänzte, nicht alle Probleme ließen sich durch medizinische oder psychologische Untersuchungen erkennen. Den Überlegungen über den Zusammenhang von Liebeskummer, narzisstischen Störungen und Depressionen und ihren Auswirkungen machte Baum ein jähes Ende: „Jetzt spekulieren wir schon wieder.“ Der evangelische Bischof Wolfgang Huber, einst Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschland, forderte, auch mit dem Wort Depression vorsichtig umzugehen. Es bestehe die Gefahr neuer Stereotypen, eines Generalverdachts gegen alle Depressiven.

Wenn es nach Jauch gegangen wäre, hätte es wohl ruhig etwas mehr Spekulation sein können. Unschuldigt, getarnt als Anwalt wissbegieriger Angehöriger, trug er seine Frage vor: Was denn in den Passagieren wohl so vorgegangen sein könne während des achtminütigen Sinkflugs. Den hätte man doch sicher bemerkt, erst recht auch das laute Rufen des ausgesperrten Piloten? Lufthansa-Mann Kratky lieferte kein Szenario aus der Passagierreihen, sondern ließ den Moderator abblitzen.

Deutlich wichtiger und nach vorne gewandt sind andere Dinge. Bedrückend war der Hinweis von Baum und Rau, dass die mittel- und langfristige Betreuung von Opferangehörigen zu wünschen übrig lässt. Für Therapien sei eine Krankheitsdiagnose nötig, obwohl es auch mit dem Hinweis Trauerphase getan sei, bedauerte Rau. Baum erklärte die Entschädigungsregeln in Deutschland für unzureichend. Vorbildlich sei dagegen Frankreich, wo auch der seelische Schmerz, den ein Unglück auslöst, berücksichtigt werde.