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Günter Wallraff Günter Wallraff: Wirklichkeits-Forschung an deutschen Fundamenten

Von Steffen Könau 25.09.2002, 05:59
Günter Wallraf
Günter Wallraf dpa

Halle/MZ. - So viel anders als damals wäre gar nicht,was der Under-Cover-Agent des deutschen Journalismusan Ende zu erzählen hätte. 17 Jahre nach "Ali"Wallraffs Reportage-Tauchgang in die Innereiender Industriegesellschaft, der als Buch "Ganzunten" hieß, sind es nicht mehr die Türken,die all die schmutzigen Arbeiten erledigen.Sondern eben Rumänen, Russen und Moldawier.

Und doch ist der Reporter, der am Dienstag seinen60. Geburtstag feiert, sicher, dass "Ganzunten" sich nicht nur drei Millionen Exemplareverkauft, sondern etwas bewirkt hat. "Es hatdas Selbstbewusstsein der Arbeitsemigrantengestärkt", diktierte er dem "Stern" für dieRubrik "Was macht eigentlich?".

Ja, was macht er eigentlich, der gelernteBuchhändler und Böll-Freund, der "Verunsicherer",wie sich Wallraff selbst gern bezeichnet?Fünfzehn Jahre hat er kein neues Buch veröffentlicht,zehn Jahre nur nebulös von geheimnisvollenProjekten, neuen Verkleidungen, kommendenSensationen gesprochen. Doch dann waren dieDDR-Pässe nicht rechtzeitig fertig, als dasser sich noch in den Arbeiterstaat hätte schleichenkönnen.

Z-TITEL: "Liebende aller Länder, vereinigt Euch."

Günter Wallraff

Wallraff schmuggelte eine Spionin insTalkshow-Team eines Privatsenders, die ihmkündigte, als eine Festanstellung lockte.Die Idee, im Iran gegen die Verhaftung desUnternehmers Helmut Hofer zu demonstrieren,scheiterte. "Liebende aller Länder, vereinigtEuch", sollte auf dem Plakat stehen. Dannzwickte die Bandscheibe, und Günter Wallraffblieb daheim.

Hier sammelt er Steine, wehrt sich gegen denVorwurf, für als "IM Wagner" die Stasi gespitzeltzu haben, läuft Marathon und lehnt viele Angeboteab. Das mit "Wallraff TV", erzählte er derMZ, hätte er gern gemacht. Aber nicht jedeWoche! Und Henry Maske bei McDonalds treffen,ja. Aber dort essen? Alles hat seine Grenzen.Lieber fährt Wallraff über die Dörfer unddiskutiert mit Jugendlichen über Fremdenfeindlichkeit.Dass viele Angst haben, sich zu etwas zu bekennen,bemerkt er staunend. Wo er sich bis heutestets bekannt hat!

Auf seine Art ist Günter Wallraff bis heuteder alte, zornige junge Mann, der keine Ungerechtigkeitunkommentiert lassen kann. Seine frühen Investigativ-Stories,jetzt unter dem Titel "13 unerwünschte Reportagen"neu aufgelegt, lesen sich wie Plädoyers gegenGlobalisierung und Geschichtsentsorgung. Ihneneignet allerdings auch eine empört schimmerndeGrundfarbe: Der Arbeitersohn Wallraff warund ist ein parteilicher Moralist, der sichnicht abfinden mag mit Ausbeutung und ungleicherVerteilung von Arbeit und Kapital.

Eine Auffassung, die altmodisch wirkt im Zeitalterder Ich-AG, eine Auffassung aber auch, dieden Wirklichkeitsforscher sympathisch macht.Längst hat er die Position des Dokumentar-Literatenverlassen, längst aufgegeben, nur um einebessere Welt zu schreiben. Wallraff stifteteeine Mädchenschule in Afghanistan, Wallrafffinanziert ein Wohnmodell für sozial schwacheAusländer.

Nach dem letztinstanzlichen Urteil, das dieZensur seines Bild-Buches "Der Aufmacher"aufhob, hat Wallraff seinem Verlag vorgeschlagen,sein Hauptwerk noch einmal kräftig zu bewerben.Leider aber war der Werbeetat schon verplant.